EMA: Wiens Chancen schwinden

STANDORT – Die EU-Kommission hat zwar kein Ranking vorgenommen, ihre Bewertung der Kandidaten für den künftigen Sitz der Arzneimittelbehörde lässt aber Tendenzen erkennen. Laut Insidern ist Wien schon aus dem Rennen. (Medical Tribune 41/17)

Wohin geht die Reise des EMA-Staff? Europa bietet viele Möglichkeiten.
Wohin geht die Reise des EMA-Staff? Europa bietet viele Möglichkeiten.

Austria 10 Points. Was beim Eurovision Song Contest schon ein Traum wäre, ist in Sachen EMA wohl zu wenig. Die Europäische Arzneimittelagentur sucht aufgrund des Brexits einen neuen Standort. Die heimische Bewerbung war offenbar gut, die Präsentation in Brüssel (von Gesundheitsministerin Dr. Pamela Rendi- Wagner und Wiens Finanzstadträtin Renate Brauner) war, wie man hört, sogar hervorragend. Aber am Ende dürfte Wien doch leer ausgehen. Vielleicht kommt die Bundeshauptstadt aber anderwärtig noch zum Zug. Was die EMA betrifft, so dürfte Wien kaum mehr Chancen haben. Das jedenfalls haben mit der Angelegenheit vertraute und in Brüssel gut vernetzte Personen der Medical Tribune anvertraut. Die Favoriten seien demnach Mailand sowie Bratislava. Die EU-Kommission hat kürzlich ihre Bewertung der diversen Angebote für die Übersiedlung der EMA wie auch der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) von London nach Kontinentaleuropa veröffentlicht.

Wer sich von der Brüsseler Behörde ein konkretes Ranking der Offerte erwartet hatte, wurde allerdings enttäuscht: In den sechs Auswahlkriterien – Gebäude, Infrastruktur, Bildungseinrichtungen, Arbeitsmarkt/ Sozialversicherung/medizinische Versorgung, Kontinuität der Geschäftstätigkeit sowie geografische Ausgewogenheit – wurden die Angebote der Interessenten lediglich zusammengefasst, ohne Präferenzen auszudrücken. Der Rat (das Gremium der EU-Mitglieder) wird voraussichtlich im November die Sieger küren. Zwischen den Zeilen werden jedoch sehr wohl schon gewisse Tendenzen deutlich. Die Bewerbungen von Frankfurt am Main und Bonn als neue Standorte für die EBA bzw. EMA weisen nach einer Auswertung der EU-Kommission beispielsweise erhebliche Schwächen auf. Bonn könne etwa die rasche Verfügbarkeit eines dauerhaft nutzbaren Gebäudes für die EMA nicht garantieren, Frankfurt als Bewerber um die Bankenaufsicht EBA im Unterschied zu anderen Bewerbern keine Mietfreiheit.

Die österreichische Bewerbung kommt vergleichsweise gut weg, gerade in Sachen EMA gibt es aber auch hier Schwächen: Das Angebot enthalte teilweise keine genauen Angaben zu den Arbeitsplätzen, Archiven, den Sicherheitsvorkehrungen und IT-Standards in den zur Wahl stehenden Gebäuden. Es enthalte aber auch keine Informationen zum Zugang zur Sozialversicherung von Angehörigen der EMA-Mitarbeiter und es bliebe auch genauere Angaben zu deren Job-Chancen schuldig. Dazu kommt, dass bereits eine Agentur, die Fundamental Rights Agency (FRA), im Lande tätig ist. Dass es besser ginge, zeigt die Kommissionsanalyse des österreichischen Angebots für die Unterbringung der Bankenaufsicht EBA auf der Linken Wienzeile. Hier wurde die Attraktivität Wiens explizit betont und besonders positiv hervorgehoben. Prompt wird Wien etwa im renommierten deutschen Handelsblatt bereits als „heimlicher Favorit“ für die EBA gehandelt.

Laut einer Studie des IHS würde die EBA einen positiven BIP-Beitrag von knapp 40 Millionen Euro im Jahr beisteuern. Bei der EMA wären es indes 203 Millionen. Nicht umsonst gilt die EMA als Filetstück des Brexits, bewerben sich für die EMA 19 Städte und für die EBA acht. Die gut ausgebildeten EU-Beamten und deren Familien sind gern gesehene Gäste. Sie bilden nicht nur ein kaufkräftiges Publikum, mit ihnen kämen auch internationale Schulen und andere Einrichtungen. Dazu kommen Kongresse und Geschäftsreisen. London sollen EMA und EBA rund 40.000 Hotelübernachtungen pro Jahr gebracht haben. Im Umfeld der für Medikamentenzulassungen zuständigen Behörde siedeln sich auch gerne Pharmaunternehmen an.

Umweg über Bratislava?

Medical Tribune sah sich die Analysen der EU-Kommission genau an. Jene von Mailand ist ziemlich makellos, einzig hinsichtlich der Verfügbarkeit von Fachkräften wird ein Mangel an Information festgehalten. Und Italien beherbergt bereits zwei EU-Agenturen. Insider berichten dafür von einem anderen Vorzug Mailands: EMA-Chef Guido Rasi ist Italiener, was angeblich eine Rolle spielen soll. Ein heißer Tipp für die EMA ist aber auch Bratislava. Die Slowakei ist eines der wenigen Bewerber- Länder und unter den Favoriten das sogar einzige, das noch keine EU-Agentur beherbergt. Der politische Druck, die Mittelosteuropäer bei der Vergabe nicht zu übergehen, dürfte beträchtlich sein. Sollte Bratislava den Zuschlag bekommen, könnte das benachbarte Wien zumindest indirekt profitieren. Der Zugang zum Wiener Flughafen wird sogar bei der Bratislava-Bewerbung positiv hervorgehoben.

Die Mitarbeiter der Arzneimittelaufsicht allerdings haben eine klare Vorstellung davon, wo es hingehen soll und wo nicht. Eine Umfrage unter EMA-Angestellten ergab, dass bis zu 70 Prozent kündigen würden, falls der neue Standort nicht ihren Ansprüchen an Lebensqualität entspräche. Nur fünf der 19 Bewerberstädte wurden als gut genug beurteilt, um 65 Prozent und mehr der EU-Beamten für einen Umzug zu begeistern. Die EMA warnte schon einmal vor einer Krise der öffentlichen Gesundheit und Versorgung für den Fall, dass nicht genug qualifiziertes Personal disloziert werden könne. Welche Städte als Top oder Flop rangierten, wollte die EMA nicht öffentlich machen. Dem Vernehmen nach rangieren auf den hintersten fünf Plätzen allerdings die osteuropäischen Metropolen Zagreb, Bratislava, Warschau, Bukarest und an letzter Stelle Sofia. Die Favoriten der Mitarbeiter sind indes laut niederländischen Medienberichten Amsterdam, Barcelona und Wien. Amsterdam wird ohnehin als Mitfavorit gehandelt, auch wegen seiner Nähe zu London.

Die Bewerbung hat aber eine Schwachstelle: Wie in Bonn wären die Räumlichkeiten nicht rechtzeitig fertig, sodass eine Übergangslösung angeboten werden musste. Ein Umzug in Übergangsgebäude ist natürlich weniger wünschenswert als ein direkter Umzug in dauerhafte Gebäude. Außerdem residieren in den Niederlanden bereits zwei EU-Agenturen, in Frankreich (auch Lille wird mancherorts noch ins Spiel gebracht) sogar drei. Die restlichen Favoriten? Barcelona fällt wohl allein wegen der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen weg. Und dann ist da noch Kopenhagen – ein gefährlicher Außenseiter mit einer schier makellosen Bewertung der EU-Kommission. Einzige Schönheitsfehler: Auch hier fehlen Informationen zum Social-Security- Zugang für Angehörige und in der Stadt gibt es schon die europäische Umweltagentur.

Des Kanzlers Worte

Dass Wiens Chancen in Sachen EMA schwinden, kann man zwischen den Zeilen auch aus dem jüngsten Statement des Kanzlers herauslesen: „Lassen wir uns überraschen“, sagte Christian Kern am Rande des EU-Gipfels in Tallinn. „Es ist eine mörderische Konkurrenz.“ Wien habe ein gutes Angebot gemacht, aber das würden viele andere von sich auch glauben. Das klingt so, als ob man die Erwartungshaltung bereits dämpfen möchte. Auch Scala-Intendant Alexander Pereira, ein Wiener, der für Mailand als EMA-Standort wirbt, sieht geringe Chancen für Wien, wie aus einem Bericht der APA hervorgeht. Dies erst recht, wenn sich, wie er glaubt, doch die Finanzmetropole Frankfurt als EBA-Sitz behaupten sollte. Es werde nicht zwei erfolgreiche Kandidaten aus dem deutschsprachigen Raum geben, so Pereiras Logik.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune