19. Sep. 2017

Anaphylaxien mit Registerdaten enträtseln

Foto: BilderBox.comRegisterdaten tragen dazu bei, lebensbedrohliche Anaphylaxien klinisch immer besser einschätzen zu können. Davon profitieren gefährdete Allergiker – etwa durch neue Erkenntnisse über Co- bzw. Risikofaktoren. (Medical Tribune 37/2017)

Nach dem Sonntagsfrühstück gejoggt oder im italienischen Restaurant eine Pizza mit Meeresfrüchten verzehrt – so beispielsweise hören sich Vorgeschichten von Patienten mit anaphylaktischer Reaktion an. Bei einer weizenabhängigen anstrengungsinduzierten Anaphylaxie geht es um die Sensibilisierung gegen Omega-5-Gliadin. Wer betroffen ist, muss dahin gehend beraten werden, dass er vier bis sechs Stunden nach dem Verzehr von Weizenprodukten, etwa Frühstücksbrötchen, körperliche Anstrengungen meidet. Und bei einer Allergie auf Krebs- und Weichtiere steht selbstredend der Verzicht auf Krusten-, Schalen- und Weichtiere an.

Seltene Allergene dingfest gemacht

Zunehmend werden auch seltene Nahrungsmittelallergene identifiziert, die schwere Anaphylaxien auslösen können. Hierzu gehört Safran, wie die Falldokumentation eines Zwölfjährigen mit allergischem Asthma verdeutlicht: Etwa 1,5 Stunden nach entsprechender Nahrungsaufnahme entwickelte der Junge nicht nur eine Urtikaria und ein Angioödem, sondern wurde auch dyspnoeisch. Zu den besonderen Tücken von Anaphylaxien gehört, dass meist mehrere Organsysteme betroffen sind, betonte Prof. Dr. Margitta Worm vom Allergie-Zentrum der Charité Universitätsmedizin in Berlin. Um sie klinisch besser abschätzen zu können, bieten Daten eines vor etwa zehn Jahren initiierten Regis­ters hilfreiche Informationen unter anderem zu Verlauf, möglichen Auslösern und Ko- bzw. Risikofaktoren (www.anaphylaxie.net). In Zusammenarbeit mit dem französischen Pendant und einigen weiteren europäischen Ländern fließen Daten von Allergiezentren ein. Inzwischen sind in dem Anaphylaxie-Register rund 10.500 Patienten erfasst. Mehr als 8200 Fallberichte stammen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zu 22 % betreffen sie Kinder bzw. Jugendliche. Auch die Schwere der anaphylaktischen Reaktionen ist dokumentiert. Demnach hatten

  • 7 % der Patienten Symptome, die dem Schweregrad I entsprachen,
  • rund die Hälfte (52 %) eine Grad-II-Symptomatik,
  • 39 % einen Grad III und
  • 2 % sogar Grad IV.

Häufigste Auslöser waren Insektenstiche und Nahrungsmittel, gefolgt von Medikamenten. Auf Nahrungsmittelallergene – vorrangig aus tierischen Produkten (Hühnerei, Kuhmilch), Hülsenfrüchten (Erdnuss) und Baumnüssen (Haselnuss) – gingen 32 % der Fälle zurück. Als wichtige Beobachtung stellte Worm heraus, dass seit 2010 zunehmend Fälle von schweren anaphylaktischen Reaktionen nach der Aufnahme von Fleischprodukten auftraten. Auch zur Bedeutung von Risikofaktoren liefern die Analysen Erkenntnisse: Zu unterscheiden sind einerseits Kofaktoren, z.B. Anstrengung, die im Zusammenspiel mit einem Allergen überhaupt erst allergische Reaktionen auslösen.

Andererseits können Risikofaktoren dazu beitragen, dass eine ohnehin ablaufende, allergische Reaktion schwerer verläuft. Dies ist klinisch von gro­ßer Relevanz, so die Expertin. Etliche Faktoren, die den Schweregrad einer Anaphylaxie beeinflussen, sind bereits bekannt. Dazu zählen u.a. Vor- und Begleiterkrankungen (Infektionen, Asthma/bronchiale Hyperreagibilität, kardiovaskuläre Krankheiten), Nahrungsmittel, Medikamente, körperliche Anstrengung und immunologische, endokrinologische, hormonelle sowie vaskuläre Faktoren.

Auch psychischer Stress von klinischer Relevanz

Erstmals konnte jedoch mithilfe der Daten eine Priorisierung von Risikofaktoren erfolgen, ergänzte Worm. Höheres Lebensalter führt die Rangliste an, gefolgt von körperlicher Anstrengung, männlichem Geschlecht, Mastozytose und psychischem Stress. Handlungsbedarf scheint es den Daten zufolge bei der Soforttherapie von Patienten mit Anaphylaxien zu geben. Demnach wird die empfohlene First-Line-Behandlung mit Adrenalin teils unzureichend umgesetzt. Angesichts der Zunahme von Anaphylaxien sollte das Konzept „Rasch erkennen und handeln“ unter allen Beteiligten weiterverbreitet werden, appellierte die Expertin. Schulungen gelten dabei als besonders wichtige Maßnahme.

 

Von der Nahrungsmittelallergie zur Anaphylaxie

Ob ein Kind mit Nahrungsmittelallergie gefährdet ist, eine Anaphylaxie zu ­entwickeln, hängt u.a. von folgenden Faktoren ab:

  • Vorgeschichte mit früheren, schweren allergischen Reaktionen auf ein Nahrungsmittel
  • Zunehmender Schweregrad der allergischen Symptome
  • Systemische allergische Reaktionen (unabhängig vom Schweregrad) auf potenziell gefährliche Nahrungsmittel, z.B. Erdnüsse, Baumnüsse und Sesam
  • Reaktionen auf winzige Mengen des Nahrungsmittels
  • Systemische allergische Reaktion auf ein Nahrungsmittel (unabhängig vom Schweregrad) bei gleichzeitig bestehendem persistierenden Asthma bronchiale
  • Gleichzeitig bestehende Mastozytose

Anaphylaxie-Register:
www.anaphylaxie.net

Allergologie im Kloster; Eltville, Mai 2017

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune