17. Juli 2017

„Der Gott in Weiß ist schon lange tot“

ÄRZTEKAMMER – Nach dem Machtwechsel in der Standesvertretung der Ärzteschaft sind einige Fragen offen. Medical Tribune traf den Ex-Präsidenten der ÖÄK und Chef der Tiroler Ärzte, Dr. Artur Wechselberger, und hakte nach. (Medical Tribune 28/2017)

Artur Wechselberger sieht seine eigene Bilanz „gar nicht so schlecht“.
Artur Wechselberger sieht seine eigene Bilanz „gar nicht so schlecht“.

MT: Im April haben Sie angekündigt, sich eine zweite Amtszeit als Präsident der ÖÄK vorstellen zu können. Kurz vor der Wahl am 23. Juni dann ein Sinneswandel. Warum?

Wechselberger: Es stimmt beides. Wir waren in Tirol die Ersten, welche die Kammer konstituiert hatten. Damit war ich der Erste, der wusste, potenziell infrage zu kommen. Aus dieser Perspektive war es realistisch, nachzudenken, nochmals anzutreten – unter der Voraussetzung, ein geeignetes Team zusammenzubringen. Mit der Wahl in Wien und dem Ziel von Dr. Szekeres, ÖÄK-Präsident zu werden, haben sich die Blickwinkel verschoben. Dazu kam der Wunsch der Spitalsärzte, dass wieder einmal ein Spitalsarzt Präsident wird – immerhin haben wir sechs Bundesländer mit Spitalsärzten an der Spitze der Länderkammern. Im Zuge der Gespräche war es für mich kein Problem zu sagen, ich lasse es, nicht zuletzt auch, weil ich im November 65 werde. Schließlich ist bei der Vollversammlung eine einstimmige Wahl des neuen Präsidenten gelungen.

Oberösterreichs ÄK-Präsident Dr. Niedermoser hat den Wechsel auch mit Fehlern in Ihrer Präsidentschaft begründet, insbesondere beim PVE-Gesetz.

Wechselberger: Das glaube ich nicht. Wir haben bei der Primärversorgung die größte Kampagne organisiert, welche die ÖÄK jemals gemacht hat, und uns bis zuletzt gewehrt. Grundsätzlich war das so angelegt, dass für jedes Bundesland die Option offen war, gewisse Aktivitäten und Schwerpunkte selbst zu setzen. Oberösterreich, die Steiermark und Wien sind andere Wege gegangen als die westlichen Bundesländer. Einigen wären einheitliche Beschlüsse, für ganz Österreich gleich, lieber gewesen. Aber das geht nicht. Eine Großstadt und ein Flächenbundesland musst du anders versorgen als ein Bundesland mit Bergtälern. Aus dieser unterschiedlichen Betroffenheit hat es schon Differenzen gegeben. Aber das PVE-Gesetz hat mit der ÖÄK-Wahl nichts zu tun.

Niedermoser hat auch davon gesprochen, die ÖÄK müsse mit einer Stimme sprechen und es hätte diesbezüglich in den letzten Jahren Probleme gegeben.

Wechselberger: Ja, Niedermoser hat fest über mich geschumpfen (lacht). Ich bin ein sehr differenzierender Mensch, der gerne mag, wenn andere Leute auch ihre Meinung kundtun und ihre persönliche oder regionale Betroffenheit leben. Ich bin kein Mensch, der einen Einheitsbeschluss will für alle. Es gibt grundsätzliche Dinge, da braucht man die Einheit, aber wenn es um Versorgungsfragen geht, muss ich den Tirolern die Chance lassen, ihren Willen kundzutun, den Wienern mit den Voraussetzungen einer Großstadt und den Oberösterreichern mit einer Versorgungslandschaft, die sich ganz anders entwickelt hat als anderswo. Ich habe meine Funktion als Sprecher gesehen. Nicht als Zampano, Taktgeber oder Peitschenknaller, sondern Primus inter Pares von neun Landesärztekammerchefs zu sein und zu versuchen, in der Außendarstellung diese Vielfältigkeit auch gelten zu lassen. Aus meiner Wahrnehmung ist das nicht so eine schlechte Methode.

Rund um den Streik im Dezember hatte man den Eindruck, dass nicht Sie Präsident der Ärztekammer sind, sondern Dr. Steinhart.

Wechselberger: Da haben wir auch diese Vielfalt. Die ÖÄK hat einen Präsidenten, der präsentiert die Gesamtkammer, aber sie hat auch Kurien, die Dinge autonom entscheiden. Zur Autonomie der niedergelassenen Ärzte gehört alles, was mit Kassenverträgen zu tun hat. Diesen unterschreibt der Kurienobmann und der Präsident zeichnet ihn gegen. Den Beschluss über Streiks in niedergelassenen Praxen fasst nicht der Vorstand der ÖÄK, sondern jener der Kurie. Wenn dann die Wiener, Steirer und Oberösterreicher für den Streik sind und die anderen sagen, nein, wir halten das für kein adäquates Mittel, dann ist das so. Das Parlament hat inzwischen das umstrittene PVE-Gesetz beschlossen.

Welche Auswirkungen wird es haben?

Wechselberger: Es ist uns in den Verhandlungen sehr viel gelungen, aber es bleiben drei zentrale Probleme: Das schwerste Manko ist, dass die Anstellung von Ärzten in Gruppenpraxen und Primärversorgungseinrichtungen nicht zugelassen wurde. Deshalb wird diese neue Form der Versorgung nicht angenommen werden. Zweitens werden Ärzte in Organisationen gezwängt, die eine eigene Rechtspersönlichkeit haben müssen. Ärzte, die mit einem Kassenvertrag niedergelassen sind, werden gezwungen, diesen aufzugeben und ein zusätzliches unternehmerisches Risiko auf sich zu nehmen. Drittens kritisiere ich die unkonkreten Aussagen zur Einbindung nichtärztlicher Berufe. Die Sozialversicherung hat sich voll und ganz durchgesetzt, wenn jene Ärzte, die diese Primärversorgungs-Einrichtungen tragen, nur eine pauschale Abgeltung für die Leistungen der nichtärztlichen Berufe bekommen. Damit verlagert sich das aus der Einzelpraxis bekannte Übel mit limitierten und degressiven Honoraren auf die Ebene dieser neuen Versorgungseinheiten. Wenn die Versorgung verbessert werden soll, müsste das Risiko für die Ärzte im Falle einer Mengenausweitung ausgeschlossen und nicht wieder mit Honorarbegrenzungen gedroht werden.

2012, am Beginn Ihrer Präsidentschaft, haben wir Sie gefragt, woran deren Erfolg gemessen werden soll. Ihre Antwort damals: „Mein Ziel ist, dass es in fünf Jahren möglichst wenige unbesetzte Kassenstellen gibt, eine höhere Arbeitszufriedenheit, dass es den Ärzten wirtschaftlich besser geht und flexiblere Arbeitsmöglichkeiten es erlauben, individuelle Vorstellungen einer Work- Life-Balance zu leben.“ Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Wechselberger: Gar nicht so schlecht. Bei den Kassenstellen muss ich allerdings sagen: Ziel verfehlt. Der österreichweite Trend ist, dass es immer schwieriger wird. In Tirol haben wir zuletzt 25 Stellen ausgeschrieben und konnten nur fünf besetzen. Probleme machen nicht mehr die vielzitierten Landarztpraxen, das geht recht gut. Inzwischen gibt es viel mehr offene Stellen von Fachärzten als von Allgemeinmedizinern. Die Forderung nach mehr Kassenverträgen geht unter diesen Prämissen ins Leere. Es gibt einen deutlichen Trend zur Niederlassung als Wahlarzt.

Gibt es eine höhere Arbeitszufriedenheit?

Wechselberger: Ich orte im Spitalsarztbereich eine deutlich höhere Arbeitszufriedenheit, nachdem in allen Bundesländern Verbesserungen im Gehaltsschema erreicht wurden. Es ist auch gelungen, einigermaßen im Sinne der Ärzte die Frage der begrenzten Arbeitszeit nach dem neuen Arbeitszeitgesetz zu regeln. Befragungen zeigen auch, dass die Zufriedenheit in der Ausbildung steigt. Allerdings gibt es eine Unruhe durch die neue Ausbildungsgesetznovelle, weil alle 3000 Ausbildungsstellen in Österreich von der ÖÄK neu überprüft und zugelassen werden müssen. Die Ausbildungsgesetznovelle war die größte seit 50 Jahren und ist durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Ministerium und ÖÄK abgeschlossen worden.

Geht es den Ärzten 2017 wirtschaftlich besser als 2012?

Wechselberger: Die Honorarabschlüsse waren in allen Bundesländern nicht schlecht, das gilt auch für bundesweite Abschlüsse. In der Regel waren diese über der Inflationsrate. Bei den Honorarabschlüssen ist immer das Gesamtpaket aus Entgelt, neuen Leistungen und Belastungen zu betrachten. Die Bürokratiespirale dreht sich weiter und eine Administrationstätigkeit von 40 Prozent – egal ob im niedergelassenen Bereich oder in den Krankenhäusern – drückt auf die Arbeitszufriedenheit.

Und wie steht es beim Ziel der flexibleren Arbeitsmöglichkeiten?

Wechselberger: Im niedergelassenen Bereich sind wir sehr viel weitergekommen. Fast in allen Bundesländern ist es jetzt möglich, Kassenverträge flexibel zu handhaben. Sei es in Partnerschaften oder in Übergabepraxen.

Wie fällt darüber hinaus Ihre Fünf-Jahres-Bilanz aus?

Wechselberger: Relativ gut in Bereichen, die wir als Ärztekammer selbst steuern und beeinflussen können oder wo wir gute, konstruktive Partner hatten – Stichwort Ausbildungsnovelle. Viele Bereiche, wo wir auf die drei führenden Partner im Gesundheitswesen – Sozialversicherung, Länder, Bund – angewiesen waren, sind sehr zäh gegangen. Ich erinnere an schwere gesundheitspolitische Konflikte. Dazu zählte 2012 die gesetzliche Festschreibung der Zielsteuerungsgremien, wobei die ÖÄK aus den entscheidenden Gremien herausgedrängt wurde. 2014 konnten wir uns bei der inhaltlichen Neustrukturierung der Primärversorgung durchsetzen, über die Probleme mit dem PVE-Gesetz haben wir bereits gesprochen. Ein wichtiger offener Punkt ist, dass der Bund endlich Mittel zur Finanzierung der verpflichtenden Lehrpraxen auf den Tisch legt.

Aus den nichtärztlichen medizinischen Berufen gibt es noch immer Klagen, dass manche Ärzte ihnen nicht auf Augenhöhe begegnen.

Wechselberger: Das sehe ich nicht so. Ärzte sind so froh, wenn sie unkompliziert und zeitnah Dienste nichtärztlicher Berufe zur Verfügung haben. Es gibt keinen Standesdünkel mehr.

Der Gott in Weiß ist tot?

Wechselberger: Schon lange.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune