29. Juni 2017

Dr. Stelzl: Reif fürs Ausgedinge

Immer dann, wenn einem schon die Zunge bis zum Großzehengrundgelenk hängt und man zu wissen glaubt, dass einfach nichts mehr geht, bekommen die Kinder Brechdurchfall, die Katze eine Nierenbeckenentzündung und dem Hund bleibt ein Knochen im Schlund stecken. Falls jedoch alle geliebten Zwei- und Vierbeiner wohlauf und gesund sind, beginnt die Waschmaschine zu rinnen, der Tiefkühler, in dem man die Woche zuvor einen halben Bioochsen eingefroren hat, taut sich selbst ab oder die Praxis-EDV macht den terminalen Rülpser. In meinem Fall sind zwar nur der Drucker und die Zentrifuge im Labor im selben Augenblick verendet, aber für einen kleinen hysterischen Anfall hat es allemal gereicht.

Und dann dachten wir, dass es jetzt wirklich genug wäre und fuhren das Wochenende auf den Berg, auf unsere Hütte. Dort beschloss dann unser SUV, dass er zu wenig Zeit und Zuwendung von unserer Seite bekäme, zeigte vorwurfsvoll das Batteriezeichen, rülpste und zierte sich beim Versuch, wieder in Gang gebracht zu werden. Der Nachbar, Bauer und Mechaniker mit der Fähigkeit, Autos, Traktoren und Rasenmäher zu reparieren, trichterte der Batterie über Nacht wieder neues Leben ein. Welches das Auto am nächsten Tag gleich wieder aushauchte. Also gab er uns gerade so viel Schubs, dass wir vom Berg runter zum örtlichen Pannendienst-Stützpunkt kriechen konnten. Dort werkelte ein freundlicher junger Mann, muskulös und braungebrannt. Ein durchaus netter Anblick. Kompetent war er auch. Leider konnte er für uns nichts tun. Solche Batterien wären zu speziell, die hätte der Pannendienst nicht vorrätig. Außerdem könnte es passieren, dass beim Abklemmen und Tauschen die ganze Elektronik ein Trauma erleiden könnte und schmollend in den Tiefschlaf verfallen würde. Nur der Fachbetrieb hätte das richtige Zubehör und die richtigen Geräte. Leider.

F wie Fortschritt

Er trichterte unserm Auto wenigstens so viel Geist und Elan ein, dass wir es wieder zurück auf den Berg schaffen konnten. Wozu brauchen wir ein entspanntes Wochenende? Hauptsache, das Auto bekommt genug Auslauf! Und wo sind die Zeiten, wo man nach dem Pannendienst rufen konnte und der noch etwas zu reparieren und richten vermochte? Also irgendwie in einem völlig überfüllten Kalender noch ein Plätzchen finden um das Auto mit den drei Buchstaben (Bring Mich Werkstatt – wie böse Zungen lästern) ans andere Ende der Stadt zu schippern. Mein Servicemensch war entzückend. Obwohl er sich vor Arbeit überwuzelt, bekam ich meinen einzig möglichen Termin und ein Mechaniker machte Überstunden. (Auf die Rechnung warte ich derzeit noch, mal sehen.)

Während also die Werkstatt dem X1 neue Lebensgeister verpasste und dafür sorgte, dass er dabei nicht in komplette Amnesie verfallen würde, wanderten der Beste aller Ehemänner und ich durch den Verkaufsraum. Mal sehen, was es da so gab und wie das zukünftige Auto, das hoffentlich noch in ferner Zukunft liegt, aussehen könnte. Zu meinem Entsetzen verfügen mittlerweile alle Modelle über einen mehr oder weniger großen Bildschirm. Dort, wo bei uns beruhigendes monochromes Dunkelbraun herrscht und dahinter eine praktische Ablage für Sonnenbrillen wohnt, flimmern Karten und bunte Helferchen. Nach einiger Zeit näherte sich ein Verkäufer mit der Frage, ob er etwas für uns tun könnte.

Da Autokauf bei uns traditionellerweise Frauensache ist – meinem Mann ist ziemlich wurscht, wie es aussieht, was es sonst noch kann, Hauptsache es fährt gut und heizt nach dem Schifahren den Rücken –, antwortete ich. Was dem Verkäufer gelinde gesagt missfiel. Willkommen im 21. Jahrhundert! Wenn ich Autos um 30, 50 oder 70.000 Euros verkaufen würde, würde ich aber schleunigst die freundlichen Nasenlöcher herauskehren und auch Madame auf Händen durch die Halle tragen. Stattdessen kam er grunzend näher, und ich war glücklich, dass er mich nicht auf Händen trug, denn der Kerl hatte einen Körpergeruch, der mich gleich um drei Wagenlängen zurückwarf. Gut, es war ein heißer Tag, aber selbst nach einem Monat in der Wüste sollte man nicht so riechen. Auf jeden Fall würde ich bei dem nicht einmal einen schrottreifen Zastava kaufen, geschweige denn einen bayrischen Dreibuchstaber.

Da wir aber nun schon mal ein Gespräch begonnen hatten fragte ich, ob man diese Berieselung irgendwie umgehen könnte. Nein, das sei serienmäßig und sie wären alle mächtig stolz darauf. Ich könnte die Daten ja auch „head up“ direkt auf die Windschutzscheibe projizieren lassen. Na wunderbar, noch mehr Flimmern in meinem Blickfeld. Was ist eigentlich aus der guten alten Angewohnheit geworden, konzentriert durch die Windschutzscheibe zu blicken und auf die Straße und den dazugehörigen Verkehr zu achten? Ich will es jedenfalls ruhig und monochrom haben in meinem Auto. Er empfiehlt mir, mich einfach in eine Klause zu verkrümeln. Und ich stelle fest, dass wir dort nie wieder ein Auto kaufen werden. Aber der Branche geht’s offenbar zu gut, sodass zwei alte Kunden und potenzielle Wiederholungstäter ruhig vergrault werden dürfen.
Oder ist es wirklich schon so weit, dass ich nur mehr in die Klause passe? Ist das Bedürfnis, nicht ständig von allen Seiten in Bild und Ton berieselt zu werden, so abartig? Und der Wunsch, den eigenen Sinnen auch zu vertrauen, nicht nur der Elektronik?

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune