IT-Riesen gehen ins Spital

Von wegen „An apple a day keeps the doctor away“: Der iPhone-Konzern baut jetzt sogar Spitäler und schreckt damit die Gesundheitsbranche auf. Letzteres gilt auch für Amazon. Und das ist erst der Anfang der Entwicklung. (Medical Tribune 11/18)

Big Data – Big Business: In der Gesundheitsbranche herrscht Goldgräberstimmung und jeder will ein Stück vom Kuchen.
Big Data – Big Business: In der Gesundheitsbranche herrscht Goldgräberstimmung und jeder will ein Stück vom Kuchen.

Was haben Tech-Riesen wie Apple und Amazon, die US-Bank JPMorgan und Berkshire-Hathaway, die Holdinggesellschaft des amerikanischen Großinvestors Warren Buffet, gemeinsam? Ganz einfach: Sie alle sorgen sich um das Wohl der Menschheit, deren Gesundheit ihnen mehr am Herzen liegt als der eigene Profit. So stellen sich diese Konzerne, zugegeben etwas übertrieben formuliert, dieser Tage jedenfalls dar. Nämlich dann, wenn es um ihre neueste Investitionsoffensive geht, und die zielt aufs Gesundheitswesen ab. Apple, ein Konzern, der dafür bekannt ist, neue Produkte mit viel Glanz und Gloria der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, hat vor Kurzem geradezu still und heimlich einen interessanten Vorstoß gewagt: Der Konzern hat eine Tochterfirma namens AC Wellness gegründet. Über diese baut der IT-Riese Krankenhäuser für seine Mitarbeiter und deren Familien. Zunächst sollen es zwei Gesundheitszentren sein, wie der amerikanische Finanznachrichtensender CNBC berichtete. Längerfristig sei aber eine ganze Gruppe angestrebt.

Apple sucht Ärzte

Auf mehreren Plattformen wird bereits Klinikpersonal gesucht, unter anderem Allgemeinmediziner, Krankenpfleger und Gefäßspezialisten. Das wiederum deutet darauf hin, dass die Eröffnung der Kliniken – wohl in der Nähe der Apple-Zentrale in Kalifornien – bald bevorsteht. Auf der Webpage von AC Wellness wird eine „concierge-like healthcare experience“ in Aussicht gestellt und natürlich „exceptional health outcomes“. Doch was steckt dahinter, wieso macht Apple das überhaupt? Nun, zum einen mag es tatsächlich um das Wohl der Mitarbeiter gehen, zumal das ja auch wirtschaftlich Sinn macht: Die Kosten für erfolgreiche vorbeugende Maßnahmen wären geringer, als einen Mitarbeiter mit einer bereits ausgebrochenen Krankheit zu behandeln – vor allem bei den hohen Behandlungskosten in den USA. Außerdem würden sich Fehltage reduzieren. Doch darüber hinaus verfolgt Apple wohl ein größeres Ziel, das jedenfalls mutmaßen Analysten. Schließlich zielt das Unternehmen schon seit einigen Jahren darauf ab, den Medizinsektor mit modernen technischen Mitteln umzukrempeln. Der Sektor ist allein in den USA ein Billionen-Dollar- Geschäft. Konzernchef Tim Cook höchstpersönlich hatte auf der jüngsten Hauptversammlung die Gesundheitsbranche als einen Bereich bezeichnet, in dem der Konzern einen bedeutenden Beitrag leisten könne.

Laut CNBC sollen in den neuen Kliniken auch Gesundheits-Tools und Produkte getestet werden, bevor sie für den Massenmarkt freigegeben werden. Das könnte Angebote wie die „Health“-App betreffen, die bereits jetzt mit den entsprechenden Sensoren Gewicht, Blutdruck und Körpertemperatur der Nutzer aufzeichnet. Vor einigen Wochen kündigte der Konzern an, dass der Dienst „Health Records“ medizinisch relevante Daten wie Impfungen, Rezepte und Laborergebnisse auf dem iPhone speichern und bei Bedarf an Ärzte senden soll. Apple ist kein Einzelfall, auch andere IT-Riesen sind längst auf den Geschmack gekommen und wollen ihrerseits am Gesundheitsmarkt reüssieren. Vor ein paar Wochen erregte eine ungewöhnliche Dreierallianz Aufsehen: Amazon, JPMorgan und Berkshire- Hathaway haben angekündigt, ein neues Unternehmen zu gründen, das den eigenen Mitarbeitern eine bessere medizinische Versorgung garantieren soll. Offenbar eine Krankenversicherung. Konkret sind die Pläne allerdings noch nicht, doch JPMorgan- Chef James Dimon sieht das Potenzial, dass das Projekt sogar allen Amerikanern zugutekommen könnte. Das Unternehmen sei, wie man betont, nicht auf Profit aus.

Jede Menge Fantasie

Zumindest vorerst nicht, wie Marktbeobachter befürchten. Amazon könnte Software-Expertise zur Verfügung stellen und in der Folge ein digitales Betriebssystem für die Verwaltung der medizinischen Behandlungen aufbauen – „eine Art SAP für die Gesundheit“, wie es das deutsche Handelsblatt formulierte. Darüber hinaus könnte bei Amazon entwickelte künstliche Intelligenz bei der automatischen Auswertung von radiologischen Aufnahmen zum Einsatz kommen. Und beim Versand von Medikamenten natürlich der Lieferdienst Prime. Schon jetzt werden in den USA 80 Prozent der rezeptfreien Online-Medikamentenkäufe über Amazon abgewickelt. Und das soll erst der Anfang sein, Konzernchef Jeff Bezos hat in einem Dutzend Bundesstaaten bereits Lizenzen für den Großhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten beantragt. Das Gesundheitsgeschäft ist reizvoll, es ist krisensicher und profitabel.

Amazons Vorstoß macht die etablierten Konzerne, allen voran Arzneimittelgroßhändler und Gesundheitsdienstleister, durchaus nervös. Schließlich hat Bezos schon mehrmals bewiesen, dass er ganze Branchen umkrempeln kann – vom Buchhandel über Webservices wie Film-Streaming bis hin zu smarten Lautsprechern. Ökonomen schüren indes Hoffnung, dass die Preise im teuren US-Gesundheitssystem mit einem derart großen neuen Wettbewerber sinken könnten. Was diese Beispiele zeigen: Big Data ist gerade auch im Gesundheitswesen das neue Gold und jeder will sich ein Stück vom Kuchen sichern. Das gilt auch für die Pharmaindustrie. Klinische Studien werden immer aufwendiger und teurer und die Auswahl an Studienteilnehmern ist begrenzt, wie es auch in einem aktuellen Bericht der APA heißt. Die gesammelten Real-Life-Daten von Millionen behandelten Patienten können dagegen ganz andere Dimensionen eröffnen und bei niedrigeren Kosten ein schärferes Bild zeichnen.

Wunderbare Freundschaften

Was liegt da näher, als dass sich sich Pharmafirmen mit Tech-Riesen zusammentun? Die einen haben riesige Datenmengen durch ihre Apps und Fitnesstracker, die anderen könnten damit Marktforschung betreiben. Tatsächlich hat etwa Roche erst kürzlich die von der Google-Mutter Alphabet unterstützte Software-Schmiede Flatiron Health für 1,9 Milliarden Dollar komplett übernommen. Flatiron analysiert unter anderem Daten im Rahmen der Krebsforschung und -behandlung. Und auch wenn Datenschützer dagegen rebellieren: Experten erwarten weitere solcher Allianzen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune