12. März 2018

Diabetes 2018: eins, zwei, viele

Auf Basis von mehreren großen Kohorten schlagt eine schwedische Gruppe vor, von der gewohnten Klassifikation in Typ 1 und Typ 2 Abschied zu nehmen. Ihr Vorschlag: eine Einteilung in fünf Gruppen. (Medical Tribune 11/18)

Von den seltenen monogenetischen MODYs (Maturity-Onset Diabetes of the Young) abgesehen wird Diabetes heute nach wie vor in Typ 1 und Typ 2 eingeteilt. Und das, obwohl durchaus nicht alle Patienten in dieses Schema passen. So besteht innerhalb der Typ-2-Population eine große Bandbreite hinsichtlich klinischer Präsentation, Ansprechen auf Therapie und Prognose. Spät beginnender Typ-1-Diabetes wird ebenso beobachtet wie der relativ schlanke Typ-2-Diabetiker. Mit einer prominent in „The Lancet“ publizierten Arbeit schlägt nun eine schwedische Gruppe ein alternatives Modell vor, das die beiden Diabetes- Formen durch fünf Cluster ersetzt. Jeder dieser Cluster ist durch bestimmte Patientencharakteristika, einen bestimmten genetischen Hintergrund, aber auch durch bestimmte Komplikationsrisiken definiert.

Prof. Dr. Leif Groop Universität Lund, Schweden
Prof. Dr. Leif Groop
Universität Lund, Schweden

Den Ausgangspunkt für die neue Diabetes-Nomenklatur bilden Cluster- Analysen aus den Daten neu diagnostizierter Diabetes-Patienten (n = 8980) aus der ANDIS (All New Diabetics in Scania)-Kohorte. Damit baut die Analyse auf jahrelanger harter Arbeit auf. Seit 2008 wurden im Rahmen von ANDIS 13.720 Patienten im Alter von 18 bis 27 Jahren gründlich evaluiert. Dies inkludierte nicht nur Zucker- und HbA1c-Messungen, sondern auch BMI, Insulinspiegel und Antikörper gegen Glutamatdecarboxylase (GADA). Damit werden mittels Homeostasis Model Assessment (HOMA)-Berechnungen der Betazellfunktion und der Insulinsensitivität möglich.

6 Variablen, 5 Cluster

Die Cluster wurden durch sechs Variablen definiert: GADA-Antikörper, Alter bei Diagnose, BMI, HbA1c sowie Schätzungen der Betazellfunktion und der Insulinresistenz, basierend auf HOMA. Die Patientendaten wurden mit dokumentierten Diabetes-Komplikationen und Medikamentenverschreibungen korreliert. Die Ergebnisse wurden in drei unabhängigen Kohorten repliziert: dem Scania Diabetes Registry (n = 1466), der All New Diabetics in Uppsala Kohorte (n = 844) sowie dem Diabetes Registry Vaasa (n = 3485). Vergleiche der Zeit bis zum Beginn der Therapie und bis zum Erreichen des Therapieziels, dem Risiko von Diabetes-Komplikationen sowie genetischen Assoziationen wurden mittels Cox Regression und logistischer Regression durchgeführt. Die fünf Cluster heißen nun:

  • Gruppe 1, SAID (severe autoimmune diabetes): Entspricht im Wesentlichen dem Typ-1-Diabetes inklusive des LADA (latent autoimmune diabetes in adults). Charakteristisch sind ein meist früher Beginn, schlechte metabolische Kontrolle, eingeschränkte Insulinproduktion und das Vorhandensein von GADA-Antikörpern.
  • Gruppe 2, SIDD (severe insulin- deficient diabetes): Die Betroffenen zeigen hohes HbA1c, eingeschränkte Insulinsekretion and moderate Insulinresistenz. In Gruppe 2 wurde die höchste Inzidenz diabetischer Retinopathie gefunden.
  • Gruppe 3, SIRD (severe insulin-resistant diabetes): Betrifft adipöse und schwer insulinresistente Patienten. In dieser Gruppe wurde das höchste Risiko von diabetischer Nephropathie gefunden.
  • Gruppe 4, MOD (mild obesity-related diabetes): Adipöse Patienten mit relativ mildem Diabetes-Verlauf. In diese Gruppe fallen oft adipöse, relativ junge Diabetiker.
  • Gruppe 5, MARD (mild age-related diabetes): „Altersdiabetes“ mit relativ günstigem Verlauf. Mit 40 Prozent der untersuchten Patienten die größte Gruppe der Diabetes- Erkrankungen.

Diese Ergebnisse aus der ANDIS-Kohorte waren in den übrigen untersuchten Kohorten gut reproduzierbar, mit dem einzigen Unterschied, dass Gruppe 5 in Finnland häufiger sein dürfte als in Schweden. Die Implikationen sind erheblich. So zeigen beispielsweise Auswertungen in Bezug auf die eingesetzten Medikamente, dass Patienten in Gruppe 3 am wenigsten Metformin bekommen, obwohl sie nach theoretischen Überlegungen eigentlich am meisten von Metformin profitieren sollten. Auch auf das besonders hohe renale Risiko dieser Patientengruppe wird im klinischen Alltag nicht eingegangen, obwohl das Risiko von Nierenversagen in dieser Gruppe fünfmal höher war als in Gruppe 5. „Gerade bei Gruppe 3 haben wir den Eindruck, dass diese Patienten am häufigsten falsch behandelt werden“, kommentierte Prof. Dr. Leif Groop, der Senior-Autor der Studie.

Blutdruck noch nicht erhoben

In Zukunft könnte es anhand dieser alternativen Klassifizierung nicht nur möglich werden, die Therapie einzelner Patienten besser zu individualisieren, sondern auch geeignete Patienten für Studien mit neuen und alten Medikamenten auszuwählen. Die Autoren halten allerdings fest, dass ihre Klassifikation nicht unbedingt die ideale Diabetes-Klassifikation sein müsse, da ihnen wichtige Daten wie zum Beispiel der Blutdruck in den genannten Kohorten nicht erhoben wurden. Sie sind allerdings überzeugt, dass die Zukunft in einer genaueren Differenzierung der heute als Typ-2-Diabetes bezeichneten Erkrankungen liegen wird.

Ahlqvist E et al., Lancet Diabetes Endocrinol 2018, Published Online March 1, 2018

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune