Wechselberger: „Die Sozialversicherung bremst“
Auf den Streik der niedergelassenen Ärzte folgte ein Aufschrei der angestellten und das alles im Vorfeld der Ärztekammerwahlen. Der oberste Standesvertreter stand der MT Rede und Antwort. (Medical Tribune 4/2017)
Wechselberger: Ich hatte 2016 ein Déjà-vu zu 2012. Wie damals kam es rund um geplante Reformen zu einem schweren Zerwürfnis zwischen der Politik und der Ärztekammer. Und wie damals wollte man die Ärztekammer auch diesmal wieder aus Entscheidungsmechanismen hinausdrängen. Bund, Länder und Sozialversicherung preschten vor und wieder wurden wir Ärzte aus der Strukturplanung ausgegrenzt.
Wechselberger: Ja, es gab 16 Verhandlungsrunden, aber man ist dort gar nie zu den entscheidenden Fragen gekommen. Stattdessen ist man bei den Machtfragen hängen geblieben – es ging im Prinzip nur darum, wer das Sagen hat. Wir waren dabei, aber unser Papier mit Vorschlägen wurde nicht einmal diskutiert!
Wechselberger: Es gab ja unterschiedliche Maßnahmen in verschiedenen Bundesländern. Die übergeordnete Informationskampagne hatte den Titel „Weniger ist nicht mehr“, und ich denke, es ist uns gelungen, Aufmerksamkeit zu erregen und die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren. Und politisch haben wir damit einen gewissen Druck erzeugt.
Wechselberger: In der Tat hat die Frau Gesundheitsministerin Gespräche zugesagt. Ich hoffe, dass das nicht wieder so frustrierend wird wie diese 16 Verhandlungsrunden zur Primärversorgung.
Wechselberger: Die Sozialversicherung bremst, will einfach nur ein billiges System. Leistungen sollen nach Möglichkeit im Krankenhaus erbracht werden, weil das günstiger ist, und der niedergelassene Bereich wird niedergedrückt. Man will keinen Gesamtvertrag mehr, sondern individuelle Verträge mit Einzelärzten – die sind aber natürlich in einer schwachen Position. Und dann all diese Schikanen, bürokratischen Hürden oder Mystery Shopping – da kann ich gut verstehen, dass sich das immer weniger Kollegen antun und lieber ohne Kassenvertrag als Wahlarzt agieren.
Wechselberger: Wenn der Kassenvertrag leistungsgerecht ist und es keine bürokratischen Schikanen gibt, dann werde ich als junger Arzt wieder einen Kassenvertrag machen. Insgesamt muss man einfach positive Anreize setzen. Wir brauchen nicht Kontrolle und zentrale Steuerung, wir brauchen Motivation, Unterstützung und natürlich auch entsprechende Ressourcen. Sonst braucht sich keiner wundern, wenn die Leute davonlaufen.
Wechselberger: Wir sehen sehr wohl Reformbedarf, wollen aber nicht alles niederreißen, sondern auf das Bestehende aufbauen. Unser Gesundheitssystem ist doch grundsätzlich gut und gehört geschützt. Was wir jetzt brauchen, sind positive Signale, wir wollen sinnvolle Reformen auf den Weg bringen.
Wechselberger: Ja, das ist ein Paradebeispiel für unser System. Lehrpraxen sind natürlich sinnvoll. Aber jetzt sollen die Ausbildner auch noch dafür zahlen, dass sie jemanden ausbilden dürfen. Das ist doch absurd! Anstatt „motiviere“ heißt es bei uns leider allzu oft „spare und kontrolliere“. Das ist der falsche Weg. Generell muss jedem klar sein, dass Leistungen etwas kosten. Aber auf diesem Ohr sind leider viele Entscheidungsträger taub oder zumindest schwerhörig.
Wechselberger: Unser Gesundheitssystem steht am Scheideweg! Wenn jetzt Fehler gemacht werden, wird das Jahrzehnte nachwirken.
Wechselberger: Man muss umdenken. Denken Sie nur an die vielen Uni-Absolventen, die schon jetzt ins Ausland abwandern, weil dort, etwa in Deutschland, die Arbeitsbedingungen – nicht nur das Gehalt – insgesamt attraktiver sind. Da müssen auch viele Spitalsbetreiber umdenken. Die Zeiten, in denen junge Ärzte Schlange stehen, sind vorbei. Es gibt keine Ärzteschwemme mehr, als Arbeitgeber müssen sie sich um Ärzte bemühen.
Wechselberger: Hier möchte ich einiges klarstellen. Eine Zusammenarbeit einzelner Ärzte ist im Einzelfall durchaus zu begrüßen. Und in Ballungsräumen mag das sogar in gemeinsamen Gebäuden sein, am Land macht hingegen eventuell eine Vernetzung bestehender Einheiten Sinn. Aber es muss individuell erfolgen, mit entsprechenden Anreizen und nicht durch zentral gesteuerte Versorgungseinheiten. Wir brauchen Attraktivität durch Angebotsvielfalt, keine Vereinheitlichung. Interessanterweise wird ja schon das Wort falsch interpretiert. Es ist stets von Primärversorgungszentren die Rede, hergeleitet aus dem englischen PHC – doch das steht nicht für Primary Health Centre, sondern für Primary Health Care. Darum sollte es auch gehen.
Wechselberger: Mit welcher Legitimierung agiert so ein Patientenanwalt? Ich bin seit 35 Jahren als Arzt in dem System tätig und bringe das ein. Was soll ein Jurist, Diener eines Herren, der sich über den Versorgungsbereich auslässt? Der Anwalt soll dafür sorgen, dass im Krankenhaus alles in Ordnung ist.
Wechselberger: Meine Frau würde sagen, dass ich zu den G’schaftlern gehöre (lacht). Ich mach das einfach gern. Man braucht freilich einen breiten Rücken, einen gewissen Idealismus und muss viel Freizeit opfern. Mir war aber immer wichtig, dass ich meine Praxis weiterführe – nur so weiß man, wovon man überhaupt spricht.
Wechselberger: Ich stehe wieder zur Verfügung, aber es gibt keinen Kampf. Ich sehe das sehr gelassen – jedes Bundesland wählt einfach seine Vertreter.
Wechselberger: Nein, nur einen Wunsch: gesund bleiben. Als Arzt weiß man, wie schnell es gehen kann…
Wechselberger: Da wünsche ich mir, dass wir als wohlwollender Partner wahrgenommen werden und unsere Expertise auch angenommen wird. Ärzte sind keine Gesundheitsdienstleister, das ist ein freier Beruf, der eine wichtige Leistung für die Gemeinschaft erbringt.