25. Okt. 2017

Hyperloop: Volles Rohr!

Rohrpostanlagen sind in modernen Krankenhäusern ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil. Auch im Wiener Krankenhaus Nord wird eine installiert. In Wien wollte man mit dieser Technik dereinst sogar Leichen zum Zentralfriedhof befördern. Nun kommt die Idee als „Hyperloop“ für lebende Passagiere ins Gespräch. (CliniCum 10/17)

Von der „pneumatischen Leichenbeförderung“ von gestern bis zum Hyperloop von morgen
Von der „pneumatischen Leichenbeförderung“ von gestern bis zum Hyperloop von morgen

In dem mit Steinimitatplatten verkleideten Gebäude der GESIBA, welches mit seiner Durchfahrt ein Eingangstor zum neuen Krankenhaus Nord in Wien-Floridsdorf ist, hat sich die Bestattung niedergelassen. Sie wollte das ursprünglich noch prominenter tun und auch gleich ein großes Sarglager hier einquartieren, quasi griffbereit. Doch so viel Realitätsbezug – über 60 Prozent der Wiener und Wienerinnen sterben im Krankenhaus – konnte dann doch unterbunden werden: Der würde die ab Ende 2018 hier verkehrenden Patientinnen und Patienten nicht gerade ermutigen. Im Gegensatz zum Menschen befindet sich ein Krankenhaus vor seiner Inbetriebnahme in einem sezierten Zustand. Alles ist offengelegt, die Hardware seiner Funktionen allen einsehbar, die Kabel, Schläuche, Rohre und Schächte, quasi die Nerven- und Blutbahnen, die Speise- und Verdauungsröhren des Spitalsorganismus.

Noch ist all das nicht hinter den Wänden und unter den Zwischendecken verschwunden, und so können wir jene langen grauen Plastikrohre durch die Stockwerke und Trakte kurven sehen, die der Grund unseres Besichtigungstermins sind: die Anlage der Krankenhaus-Rohrpost. Rohrpost? Das klingt für viele antiquiert und weckt Bilder von Beamten mit Backenbart und kaiserlich-königlichen Ärmelschonern. Doch was für den Briefverkehr in Zeiten von E-Mail und SMS gilt, trifft für das Krankenhaus ganz und gar nicht zu: Dort sind moderne Rohrpostanlagen heute ein nicht wegzudenkender Bestandteil des Systems.

„Wie wollen sie das anders transportieren?“

„In einem 1.000-Betten-Krankenhaus werden pro Jahr fünf Millionen Patienten-Blutproben mit der Rohrpost transportiert“, weiß Peter Friedrich, Exportdirektor des hier tätigen Wiener Industrie- und Gebäudetechnikunternehmens Sumetzberger. „Dann haben Sie Medikamente, hauptsächlich Spontanmedikamente, die werden meist zentral verwaltet und mit den Rohrpostbüchsen angeliefert. Dann die Blutkonserven für die Operationssäle, da passen drei Beutel in eine Büchse und halten sich gegenseitig kühl. Oder die Gewebeproben, die während der Operation ins Pathologielabor kommen, und schon zehn Minuten später hat der Chirurg eine erste Analyse. Das sind alles Dinge, die man nicht sieht, die aber ungemein wichtig sind. Und wie wollen Sie das anders transportieren in der Geschwindigkeit?“ Die Frage ist rhetorisch, denn das „Bea­men“ ist noch keine reale Option, also arbeiten die Angestellten der Firma Sumetzberger seit bald vier Jahren auf der Baustelle für das 800-Betten-Krankenhaus im Norden Wiens. Sie verlegen acht Kilometer Rohre für 37 Standard-Linien, vier Mehrhülsen-Linien und zwei direkte Verbindungen zwischen OP-Bereich und Pathologie.

Jede der sogenannten Hülsen ist mit einem RFID-Chip ausgestattet und jederzeit zu orten. In diesen Gefäßen kurven vor allem Blutproben, Blutkonserven, Medikamente und Gewebeproben möglichst geräuscharm durch den Spitalsorganismus.
Jede der sogenannten Hülsen ist mit einem RFID-Chip ausgestattet und jederzeit zu orten. In diesen Gefäßen kurven vor allem Blutproben, Blutkonserven, Medikamente und Gewebeproben möglichst geräuscharm durch den Spitalsorganismus.

Dazu kommen 91 Sende- und Empfangsstationen, jede Menge Weichen, zwei Verteilerzentralen und die jeweiligen Gebläse. Denn Rohrpostanlagen machen sich ein einfaches mechanisches Prinzip zunutze: Eine in einem Rohr befindliche zylindrische Büchse mit Transportgut gerät in Bewegung, wenn hinter ihr ein Überdruck oder vor ihr ein Vakuum erzeugt wird. Mithilfe eines elektrisch angetriebenen Verdichters wird dieser nötige Sog oder Druck erzeugt, um sie durch die Rohre rauschen zu lassen. Der 153,6 mm-Durchmesser der Büchsen ist nur geringfügig kleiner als der Innendurchmesser der einheitlichen Rohre. Während die Büchsen, auch Hülsen, Kapseln oder umgangssprachlich gar „Bomben“ genannt, in der schon etwas veralteten Anlage im AKH teils nur 100 mm Durchmesser haben und pro Linie meist nur in einer Richtung unterwegs sein können, werden die 160er-Büchsen in der Rohrpost des Krankenhauses Nord in beiden Richtungen fahren.

Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt dabei 6 m/sec (21,6 km/h). Um das empfindliche Transportgut zu schützen, werden die Büchsen vor jeder Station pneumatisch abgebremst. Für Blutproben, die im Gegensatz zu Cocktails nicht zu sehr geschüttelt werden sollten, gibt es Spezialhülsen, die nur mit halber Geschwindigkeit unterwegs sind. All das passiert heutzutage technikgemäß computergesteuert, was auch den hohen Dokumentationsansprüchen zugute kommt: So lässt sich nachvollziehen, wer wann welche Hülse von wo nach wo geschickt hat, und dank eines RFID-Chips ist auch der aktuelle Aufenthaltsort des Transportgefäßes jederzeit feststellbar.

Vollautomatische Probenanlie­ferung ins Blutlabor

„Das Spezielle an der Anlage hier ist die vollautomatische Probenanlieferung ins Blutlabor“, erzählt Sumetzberger-Mitarbeiter Gerhard Limbüchler, der uns durch die Baustelle führt. Zu sehen ist das Meisterstück noch nicht. Zumindest noch nicht in der Brünner Straße. Es wurde gemeinsam mit dem Wiener Krankenanstaltenverbund KAV (Planungsteam KH Wien Nord und Laborteam im Kaiser-Franz-Josef-Spital) entwickelt und bereits 2016 bei dem weniger langwierigen Umbau im Kaiser-Franz-Josef-Spital zum ersten Mal verwirklicht. Dort werden heute täglich bis zu 3.000 Blutproben per Druckluft in das Labor befördert werden, „dort ganz ohne Einsatz von Menschenhänden ausgeladen und an die vollautomatische Präanalytikstraße übergeben, und die leeren Hülsen fahren wieder zurück.“ Viele Befunde haben die Ärzte oft nur nach einer Stunde in der Hand.

„Früher einmal haben große Unternehmen wie Siemens Rohrpostanlagen gebaut, unsere Firma war nur ein kleiner Fisch“, erzählt Peter Friedrich. Früher: „Da hat jedes Hotel eine Rohrpost gehabt, die Rechnungen von den verschiedensten Restaurants sind sofort an die Rezeption geschickt worden, damit niemand auschecken kann, ohne zu zahlen. Jedes Bürogebäude, jede Bank hat eine Rohrpostanlage gehabt, ein Devisenhandel ohne Rohrpost war gar nicht möglich. Das war ein Riesenverkehr. Jeder Verlag, jede Zeitung hat eine Rohrpost gehabt, bei Redaktionsschluss ist die Anlage auf Anschlag gefahren.“ Heute ist die Firma Sumetzberger im Rohrpostgeschäft einer der drei großen internationalen Player und in 70 Ländern der Welt Komponenten- und Know-how-Lieferant. „Nur in Österreich machen wir alles, bis zur Montage.“ Rund drei Viertel der Aufträge betreffen Krankenhausanlagen, allein in China werden 170 Krankenhäuser betreut.

Berliner Kanzleramt setzt auf abhörsichere Rohrpost

Andere Beispiele, in denen die Rohrpost auch im 21. Jahrhundert noch eine Rolle spielt: Apotheken (z.B. zwischen dem Lager im Keller und den Verkaufstresen), Flughäfen („Ich kann ja kein Flugzeug mit Ware wegschi­cken, ohne dass ich da originale Zollpapiere drinnen hab“), Verschubbahnhöfe (Zollpapiere), Stahlwerke (glühend heiße Proben werden nach der Entnahme vom Werk teilweise über mehrere Kilometer in ein Labor zur Analyse geschickt) oder Supermärkte (höhere Geldbeträge werden von den Kassen in sichere Bereiche gesendet). Ein Sonderfall ist der Bereich Politik: Nachdem bekannt geworden war, dass die NSA die deutsche Kanzlerin abhörte, wurde das Kanzleramt in Berlin mit Rohrpost-Kommunikation ausgestattet. Im Wiener Parlament hingegen werden Rohre und Gebläse im Zuge des Umbaus gerade abmontiert. „Dabei haben wir in den letzten Jahren noch Erweiterungen gebaut, zu den zum Parlamentsbetrieb gehörenden Gebäuden über der Straße, über der Zweier-Linie“, erzählt einer der Sumetzberger-Monteuere. Ganz am Ende ist die Geschichte noch nicht: Die Anlage soll nicht entsorgt, sondern sicherheitshalber aufbewahrt werden.

Eine der zwei Rohrpost-Verteilerzentralen im neuen Krankenhaus Nord. Acht Kilometer an Rohren wurden montiert, aufgeteilt in 37 Standard-Linien, vier Mehrhülsen-Linien und zwei direkte Verbindungen zwischen OP-Bereich und Pathologie.
Eine der zwei Rohrpost-Verteilerzentralen im neuen Krankenhaus Nord. Acht Kilometer an Rohren wurden montiert, aufgeteilt in 37 Standard-Linien, vier Mehrhülsen-Linien und zwei direkte Verbindungen zwischen OP-Bereich und Pathologie.

Wohl endgültig im Wiener Technischen Museum gelandet ist die erste große Nutzung dieses Transportsys­tems: die Briefrohrpost. Bereits im Jahr 1799 unterbreitete der österreichische Erfinder Matthias Zagizek dem Kaiser einen Plan, „mittels einem Rohr einen geschwindten Briefwechsel herzustellen“ – vergeblich. Erst als ein halbes Jahrhundert später London, Paris und Berlin eine Rohrpost bauten, wurde auch in Wien das Interesse für eine „unterirdische pneumatische Postbeförderungsanlage“ geweckt. Diese war dann zwischen 1875 und 1956 höchst erfolgreich in Betrieb, zuletzt mit 82,5 km Rohrlänge und 53 angeschlossenen Postämtern. Die Rohre aus Präzisionsstahl hatten einen Innendurchmesser von 65 mm, die Briefe mussten unter zehn Gramm wiegen und zusammenrollbar sein.

Pläne für eine pneumatische Leichenbeförderung

Ein Jahr vor der Inbetriebnahme der Rohrpost wurde in Wien der Zentralfriedhof eröffnet. Nicht zentral in ­Wien, eher peripher. Und so stellte sich die Frage, wie die Verstorbenen effizient und hygienisch zu dieser neuen Ruhestätte überstellt werden können, ohne dabei die Anrainer der Pressburger Reichsstraße (heute Simmeringer Hauptstraße) zu verärgern, die sich ob der bis zu 50 Begräbnisse am Tag über den vielen Pferdemist und den „deprimierenden Eindruck auf das Gemüth“ beschwerten. Es war also naheliegend, dass der Ingenieur Franz Ritter von Felbinger und der Architekt Josef Hudetz der Stadt das Konzept einer „Begräbnishalle mit pneumatischer Förderung für den Central-Friedhof“ unterbreiteten: Eine in der Stadt gelegene Begräbnishalle, die Feierlichkeiten für Katholiken, Protestanten und Juden ermöglicht, und direkt daran angeschlossen eine unterirdische Leichen-Rohrpost zum 4,5 km entfernten Friedhof mit einer projektierten Reisezeit von zehn Minuten pro Vier-Sarg-Waggon. Eine Idee, die logistisch hilfreich und technisch umsetzbar gewesen wäre, aber vom Gemeinderat letztendlich aus Pietätsgründen abgelehnt wurde.

Zwischen 1875 und 1956 war eine „unterirdische pneumatische Postbeförderungsanlage“ in Wien erfolgreich in Betrieb. 53 Postämter waren angeschlossen, das Rohrsystem umfasste mehr als 80km.
Zwischen 1875 und 1956 war eine „unterirdische pneumatische Postbeförderungsanlage“ in Wien erfolgreich in Betrieb. 53 Postämter waren angeschlossen, das Rohrsystem umfasste mehr als 80km.

Bevor Felbinger diesen Spezialtunnel vorschlug, machte er Erkundungsreisen in andere Großstädte. In New York stieß er dabei auf den Beach Pneumatic Transit. Dort hatte der Erfinder Alfred Ely Beach 1869 mit dem Bau einer unterirdischen Rohrpostanlage begonnen und dabei still und heimlich ein weit größeres Rohr gebaut als genehmigt, eine 95 m lange Teststrecke für einen pneumatischen Personentransport. 1870 führte er seine kleine U-Bahn vor, scheiterte in den darauffolgenden Jahren jedoch an Politik und Banken. 143 Jahre später, im Jahr 2013, griff der Unternehmer Elon Musk (Tesla Elektroautos) die Idee einer Menschen-Rohrpost wieder auf: 28-Personen-Fahrzeuge, die mit Hochgeschwindigkeit (bis 1.100 km/h!) in teilevakuierten Röhren Städte und Kontinente verbinden. Utopie? Die ersten unbemannten Probefahrten in einer 500 Meter langen Teströhre (3,3 m Durchmesser) finden gerade in der Wüste Nevada statt. Bis zu einem wirklichen Einsatz des sogenannten Hyperloops wird es wohl noch dauern. Aber auch Rohrpost-Experte Friedrich findet den Plan nicht unrealistisch: „In 20 Jahren wird niemand mehr darüber reden, da wird man einfach einsteigen und fahren.“ Noch bedeutender könnten solche Röhren seiner Meinung nach für den Gütertransport werden, „weil das wäre dann eine wirklich ökologische Alternative.“

Von Peter A. Krobath (Text), Andrea Seidling und Milena Krobath (Fotos)