Update: Therapie der Migräne

Foto: Alen-D/GettyImages

Triptane zur Behandlung von Migraneattacken und eine effiziente Migraneprophylaxe kommen nach wie vor nicht in ausreichendem Ausmaß zum Einsatz.(ärztemagazin 14/17)

SERIE CHRONISCHER SCHMERZ – TEIL 11

MIGRÄNE STELLT DIE WICHTIGSTE Kopfschmerzform dar, wenn es um erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität geht. Frauen sind mit bis zu 25 Prozent nahezu dreimal so häufig betroffen wie Männer. Allerdings erhält trotz vorhandener therapeutischer Optionen nur ein geringer Anteil der Migränepatienten Triptane, ebenso wird eine suffiziente Migräneprophylaxe zu wenig häufig eingesetzt. Dies ergab eine Erhebung der Arbeitsgruppe „Kopfschmerz“ der Universitätsklinik für Neurologie Wien.

THERAPEUTISCHE GRUNDLAGEN Grundsätzlich wird zwischen Therapie der akuten Migräneattacke und Prophylaxe unterschieden. Für beide Therapien stehen sowohl medikamentöse als auch nicht medikamentöse Maßnahmen zur Verfügung. Essenziell ist die Aufklärung und Beratung der Patienten über ihre Erkrankung und über die therapeutischen Möglichkeiten. Der Patient sollte drohende Attacken frühzeitig erkennen und über seine individuellen Vorboten (Prodromi) und Trigger einer Attacke Bescheid wissen. Die Therapie ist für jeden Patienten individuell zu erstellen. Die Kenntnis von Komorbiditäten ermöglicht die Beachtung von Kontraindikationen, aber auch das Ausnützen von Synergieeffekten. Regelmäßige Kontrollen und ein Kopfschmerztagebuch zu führen stellen wichtige Bestandteile der Behandlung dar. Allen Patienten mit Migräne kann die Einnahme regelmäßiger Mahlzeiten, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, ein geregelter Schlaf-WachRhythmus und Ausdauersport empfohlen werden.

AKUTE MIGRÄNEATTACKE. Nicht medikamentöse Maßnahmen bei der akuten Migräneattacke bestehen in Reizabschirmung (ruhiges, dunkles Zimmer), Schlaf (sofern möglich), Applikation eines Kryogelkissens oder kalten Umschlägen auf Stirn und/oder Nacken. Basis der medikamentösen Akuttherapie stellt die bisherige Erfahrung des Patienten dar. Ziel der Therapie ist, innerhalb von zwei Stunden wieder den üblichen Aktivitäten nachgehen zu können. Idealerweise sollte das Medikament eingenommen werden, sobald der Patient die herannahende Migräneattacke erkennt. Bei sich langsam entwickelnden Kopfschmerzen ist zumeist eine orale Verabreichung ausreichend, bei rasch einsetzenden heftigen Kopfschmerzen bzw. bei Kopfschmerzen, durch die der Patient aufwacht, ist der Einsatz beispielsweise eines Nasensprays sinnvoll. In jedem Fall ist auf eine ausreichend hohe Dosierung der Medikamente zu achten.

QUELLE: NACH: CH. WÖBER, ÖÄZ 2017

Bei allen Medikamenten zur Kupierung einer akuten Migräneattacke besteht ein Risiko, einen Medikamenten-induzierten Kopfschmerz zu entwickeln. Eine Anwendung an weniger als zehn Tagen pro Monat ist anzustreben. Bei Migräneattacken mit leichtbis mittelgradigen Kopfschmerzen kommen primär Analgetika und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) zur Anwendung (siehe Tab. 1). Gehen die Attacken mit erheblicher Übelkeit oder (wiederholtem) Erbrechen einher, kann zu Beginn der Attacke Metoclopramid oder Domperidon eingenommen werden – entweder gleichzeitig mit den Analgetika bzw. NSAR oder zehn bis 20 Minuten davor. Triptane kommen dann zum Einsatz, wenn mit Analgetika bzw. NSAR keine ausreichende Wirkung erzielt werden kann (siehe Tab. 2). Triptane sollten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Attacke verabreicht werden, jedoch nicht während der Phase einer Aura, da hier keine Wirkung zu erwarten ist.

QUELLE: NACH: CH. WÖBER, ÖÄZ 2017

Bei nicht ausreichender Wirkung bzw. mangelnder Verträglichkeit ist der Wechsel von einem Triptan auf ein anderes indiziert. Tritt eine initial erfolgreich behandelte Migräneattacke innerhalb von 24 Stunden erneut auf, kann auf ein Triptan mit längerer Halbwertszeit umgestellt werden, ein NSAR mit längerer Halbwertszeit additiv (z.B. Naproxen) oder eine zusätzliche Triptan-Dosis (cave Kumulation) eingesetzt werden. Über mögliche Nebenwirkungen der Triptane ist der Patient eingehend aufzuklären. Diese bestehen insbesondere in einem Hitze-, Spannungs und Druckgefühl im Nacken, im Kopf und in der Brust. Zu beachtende Kontraindikationen für Triptane sind koronare Herzkrankheit, unklarer Thoraxschmerz, Schlaganfall und TIA, arterielle Verschlusskrankheit, M. Raynaud, unkontrollierte arterielle Hypertonie und gehäufte vaskuläre Risikofaktoren. Die Ergotamine haben praktisch keine Bedeutung mehr in der Migränetherapie. Sie weisen im Vergleich zu Triptanen eine geringere Wirksamkeit, dafür aber ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil auf. Eingesetzt wird lediglich Dihydroergotamin-Nasenspray. Prolongierte Attacken bzw. ein Status migraenosus werden in der Regel parenteral behandelt. Dies erfolgt mittels 1.000mg Acetylsalicylsäure oder 1.000mg Metamizol, gegebenenfalls kombiniert mit Metoclopramid als Infusion. Alternativ kann Sumatriptan 6mg subkutan verabreicht werden.

MIGRÄNEPROPHYLAXE. Neben den allgemeinen Maßnahmen stehen zur Vermeidung von Migräneattacken nicht medikamentöse (Umgang mit Triggerfaktoren, Entspannungstechniken, Verhaltensmedizin, Akupunktur) und medikamentöse Optionen zur Verfügung. Spezifische Maßnahmen zur Prophylaxe sind unter einem der folgenden Umstände angezeigt:

  • mehr als drei Migräneattacken pro Monat pro Monat
  • unzureichendes Ansprechen der Attacke auf Akuttherapie
  • Wiederauftreten einer zunächst erfolgreich behandelten Attacke innerhalb von 24 Stunden
  • massive Belastung des Patienten durch die Attacken

Ziel der Migräneprophylaxe ist eine Reduktion der Tage mit Migräne um mindestens die Hälfte. Triggerfaktoren sind am besten vom Patienten selbst zu beobachten und zu bewerten. Generelle Empfehlungen zur Vermeidung sind nicht immer sinnvoll. So kann beispielsweise die – möglicherweise unnötige – Vermeidung eines nicht gesicherten Auslösers die Lebensqualität des Patienten weiter einschränken. Zudem konnte gezeigt werden, dass eine gezielte Exposition gegenüber einem Trigger (z.B. Lichtreize) eine wirksamere Behandlung im Vergleich zu einer Vermeidung darstellen kann. Die Effizienz nicht medikamentöser prophylaktischer Maßnahmen wie Entspannungstechniken, Biofeedback und Verhaltenstherapie ist wissenschaftlich belegt. Die Ergebnisse der Studien zur Akupunktur werden von Experten überwiegend positiv bewertet.

QUELLE: NACH: CH. WÖBER, ÖÄZ 2017

Die Pharmakoprophylaxe sollte in ausreichender Dosierung über sechs Monate durchgeführt werden. In dieser Zeit ist die medikamentöse Behandlung der Attacken fortzusetzen. Die Wirksamkeit sollte bei allen Präparaten nach vier bis sechs Wochen beurteilt werden. Die Mittel der ersten Wahl zur medikamentösen Prophylaxe sind in Tab. 3 dargestellt. Bei allen Präparaten ist die Dosis langsam zu steigern, um das Risiko von Nebenwirkungen zu minimieren. Amitriptylin als Mittel der zweiten Wahl weist positive Effekte bei Migräne-Komorbiditäten wie Spannungskopfschmerz, Depression und/oder Schlafstörungen auf. Alternativ können Substanzen mit geringerer positiver Evidenz wie Magnesium, Coenzym Q10 oder Mutterkraut zum Einsatz kommen. Chronische Migräne ist jedenfalls multimodal zu behandeln. Mittel der ersten Wahl bei der medikamentösen Therapie sind Topiramat und Onabotulinumtoxin A. Bei übermäßigem Gebrauch von Analgetika, NSAR, Triptanen oder Ergotaminen ist die Durchführung einer Entzugsbehandlung erforderlich.

Dieser Artikel wurde wissenschaftlich geprüft von Univ.-Prof. Dr. Christian Wöber, Universitätsklinik für Neurologie/Spezialbereich Kopfschmerz, Medizinische Universität Wien