26. März 2017

Kreuzband-OP mit der Knochensäge

Künstliche Hüftgelenke und Osteosynthesen für Hunde sind längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Zeit für die MT, nachzufragen, was anders ist, wenn Patienten vier Beine und einen Besitzer haben. (Medical Tribune 12/2017)

Links: Bei Hunden wird das Puls-Oxy an die Zunge geklemmt. Rechts: Röntgenbild Kniegelenk St.p. TTA.
Links: Bei Hunden wird das Puls-Oxy an die Zunge geklemmt. Rechts: Röntgenbild Kniegelenk St.p. TTA.

Die Narkose ist eingeleitet, der C-Bogen steht bereit und das Beatmungsgerät brummt leise. Eine Kreuzband-Operation steht an. Bevor der Eingriff beginnt, befestigt der Anästhesist noch schnell das Puls-Oxy. Allerdings klemmt er es nicht an den Finger der Patientin, sondern an ihre Zunge – am Operationstisch liegt nämlich kein Mensch, sondern eine 28 Kilogramm schwere Labradorhündin.

Innerhalb der vergangenen Jahrzehnte hat sich der gesellschaftliche Stellenwert von Hund und Katze stark verändert und aus Hofhunden oder Mäusefängern wurden geliebte Familienmitglieder. Damit stieg auch der Anspruch an die medizinische Versorgung der vierbeinigen Gefährten, die sich in Folge rasant weiterentwickelte.

Kann man sagen, dass sich die Veterinärmedizin mittlerweile dem Niveau der Humanmedizin angenähert hat? Ass.-Prof. Dr. Britta Vidoni ist als Kleintierchirurgin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien auf orthopädische Eingriffe spezialisiert und hat die Entwicklungen seit Mitte der 1990er-Jahre miterlebt. „Wir haben Prothesen, Arthroskopie und setzen in der Diagnostik MRT, CT und Szintigraphie ein. Zu sagen, wir hinken der Humanmedizin extrem hinten nach, wäre ehrlich gesagt fast vermessen“, ist die Chirurgin überzeugt.

Das zeigt sich auch im wissenschaftlichen Bereich. In der traditionsreichen „Arbeitsgemeinschaft Osteosynthesefragen“ hat sich mittlerweile eine eigene Veterinär-Gruppe etabliert. Immerhin können Plattensysteme und Endoprothesen nicht einfach aus der Humanmedizin übernommen werden, sondern müssen den speziellen Anforderungen der tierischen Patienten angepasst werden. „Wir haben die gleichen Materialien, aber in einer anderen Größendimension“, erläutert Vidoni. Zum Einsatz kommen Titan- und Stahl-Legierungen, aber auch Implantate mit Diamant-Beschichtung, wie zum Beispiel der Femurkopf bei Hüftendoprothesen. „Ohne hochwertige Materialien hätten wir Probleme mit Infektionen“, erzählt Vidoni.

Unterschiede gibt es allerdings nicht nur bei der Größe der Patienten. Anatomie und Bewegungsabläufe der vierbeinigen Patienten machen teils ganz eigene Lösungsansätze notwendig – ein nicht unspektakuläres Beispiel dafür sind die Operationstechniken beim Kreuzbandriss. „Beim Hund, der einen wesentlich anderen Tibiaplateauwinkel hat als der Mensch, wirken bei jedem Schritt viel stärkere Kräfte auf das vordere Kreuzband“, so Vidoni. Gerade bei größeren und bewegungsfreudigen Tieren sind klassische Bandrekonstruktionstechniken oft wenig erfolgversprechend. Alternativ dazu haben die Veterinär-Chirurgen Techniken entwickelt, die gar nicht erst versuchen, das Ligamentum cruciatum zu ersetzen, sondern die Biomechanik des Kniegelenks so verändern, dass das Band nicht mehr gebraucht wird.

Zum Einsatz kommt dabei die Knochensäge. Eine dieser Techniken ist die „Tibial Plateau Leveling Osteotomy“ (TPLO), eine Umstellungsosteotomie, bei der das Tibiaplateau flach gestellt und mit einer Knochenplatte und je nach Größe des Tieres mit sechs oder acht Schrauben fixiert wird. „Das ist zwar invasiv, aber gleichzeitig eine sehr gute und praktikable Methode“, ist Vidoni überzeugt. Ein etwas weniger invasiver Eingriff ist das „Tibial Tuberosity Advancement“ (TTA), bei dem die Tuberositas tibiae abgetrennt und mittels Platte und Abstandshalter (Titancage) nach vorne gebracht und so fixiert wird, dass das Ligamentum rectum patellae einen 90-Grad-Winkel mit dem Tibiaplatau bildet. Das Ziel beider Eingriffe ist jedoch das Gleiche: eine sogenannte „dynamische Stabilität“ im Kniegelenk. „Wenn der Hund belastet, muss das Gelenk stabil sein“, betont Vidoni. Das bedeute jedoch nicht, dass man das Fehlen des Kreuzbandes postoperativ nicht mehr nachweisen könne – der Schubladentest bleibt positiv.

Leinenpflicht in der Rekonvaleszenz

Teilbelastung in der Rekonvaleszenz nach einer Umstellungsosteotomie ist ein Konzept, das einem Hund wohl kaum beizubringen ist, zumal man in der modernen Tiermedizin großen Wert auf gutes postoperatives Schmerzmanagement legt. Daher trägt der Tierhalter viel Verantwortung für das längerfristige Outcome: „Der Besitzer wird eng instruiert, den Hund an der Leine zu führen und ihn davon abzuhalten, zu rennen und zu springen“, berichtet Vidoni. Obwohl die haarigen Patienten selbst die OP-Aufklärung nicht verstehen können, ist sie unverzichtbar. „Die Aufklärung, was auf den Tierbesitzer zukommt, ist enorm wichtig. Wenn man die präoperativ verabsäumt, kann es postoperativ viel mehr Komplikationen geben.“ Selten aber doch gibt es Hund-Herrchen- Gespanne, bei denen Komplikationen derart vorhersehbar sind, dass bestimmte Eingriffe sogar abgelehnt werden müssen. „Das ist aber nicht einmal ein Prozent“, so Vidoni.

Neben der Compliance des Tierbesitzers entscheidet auch sein Budget darüber, welche der Segnungen der modernen Veterinärmedizin seinem Gefährten am anderen Ende der Leine zugute kommen können. In Österreich gibt es zwar bereits einige Anbieter privater Tier-Krankenversicherungen, aber so richtig durchgesetzt hat sich das Konzept hierzulande noch nicht. Doch Vidoni weiß aus Erfahrung: „Wenn ein Eingriff nötig ist, dann werden sich die meisten Tierbesitzer den auch leisten und lieber bei sich selber sparen.“

 

Vorsicht mit NSAIDs bei Tieren

Die Schnauze des geliebten Familienhundes ist in den letzten Jahren immer mehr ergraut. Nun machen ihm auch Arthrosen zu schaffen und gerade bei nasskaltem Wetter kommt er morgens nur langsam aus seinem Korb. Warum also nicht einfach in die Hausapotheke greifen und das haarige Familienmitglied mit Ibuprofen oder einer Diclofenac-Salbe behandeln? Die Dosierung auf das Körpergewicht herunterzurechnen kann ja schließlich nicht so schwierig sein. Das ist leider ein gefährlicher Trugschluss. Für Menschen gut verträgliche nicht-steroidale Antiphlogistika wie Ibuprofen, Celecoxib oder Diclofenac können bei Hunden und Katzen schon in geringen Dosierungen und bei kurzer Behandlungsdauer schwerwiegende Nebenwirkungen wie Nekrosen der Nierentubuli, Ulzera und massive Blutungen im GI-Trakt hervorrufen – teils sogar mit tödlichem Ausgang. Daher dürfen Haustiere nur mit einigen ausgewählten NSAIDs wie Firocoxib, Meloxicam und Carprofen therapiert
werden.
(www.vetpharm.uzh.ch)

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune