9. März 2017

Kinderbetreuung entscheidet noch immer über Frauen-Karrieren

Zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen setzt man in ­Innsbruck auf weibliche Rollenmodelle und umfassende Kinderbetreuungsangebote. (Medical Tribune 10/2017)

FOTO: C . LACKNER

Im Jahr 1930 war Helene Wastl die erste Frau, die sich an der Medizinischen Fakultät in Wien habilitierte. Hundert Jahre, nachdem Wastl im Studienjahr 1916/17 als Erstsemes­trige in Innsbruck die Hörsaal-Bank drückte, sind Frauen, die es wie Wastl schaffen wollen, sich als Wissenschaftlerinnen zu etablieren, männlichen Kollegen gegenüber noch immer im Nachteil.

In den höheren Hie­rarchierängen an Universitäten und Kliniken sind Frauen nach wie vor massiv unterrepräsentiert. „Sie brauchen nur das Telefonbuch aufzuschlagen. Da sehen Sie, dass wir eher wenige Professorinnen haben“, betont Univ.-Prof. Dr. Margarethe Hochleitner, Professorin für Gendermedizin an der Med-Uni Innsbruck, im Gespräch mit MT. An der Med-Uni Innsbruck sind es etwa 18 Prozent. Also nicht einmal halb so viele, wie die Quote vorschreibt.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Hochleitner nennt im MT-Gespräch vorrangig die noch immer schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch Männer-dominierte Hierarchien und mangelndes Selbstbewusstsein der Frauen. Gerade Letzteres wird  in Klinik und Forschungsinstituten schnell zum Wettbewerbsnachteil. Wastls wissenschaftliche Laufbahn war mit Forschungsaufenthalten in den Niederlanden und Großbritannien und einer Professur in den USA stark international ausgerichtet.

Heute sind Auslandsaufenthalte für die Karriere wichtiger denn je. Trotzdem zögern Frauen noch immer viel mehr als ihre männlichen Kollegen, wenn es darum geht, dem Ruf an eine ausländische Uni zu folgen. „Wegen der Kinder, der Ehemänner und zu betreuender Alter fühlen Frauen sich immer wesentlich mehr verpflichtet, nicht ins Ausland zu gehen. Männer haben da sehr viel weniger Bedenken und vertreten eher die Meinung, alle müssten sie unterstützen, da es ja letztlich wieder der Familie zugute kommt“, berichtet Hochleitner.

Um derartige soziale Muster aufzubrechen, setzt man im Rahmen des nach Helene Wastl benannten Frauen-Mentoring-Programms an der Innsbrucker Med-Uni auf weibliche Rollenmodelle. „Wir glauben, dass es für die jungen Frauen beeindruckender ist, wenn sie andere Frauen sehen, die es als Frau geschafft haben“, erläutert Hochleitner. Ganz unumstritten ist diese Herangehensweise nicht, doch der beeindruckende Erfolg mit 23 Habilitationen und 16 A2-Laufbahnstellen aus dem Kreis der 128 ehemaligen Mentees gibt dem „Same Gender“-Ansatz recht. Von ehemaligen Mentees kommen immer wieder Rückmeldungen wie: „Es war so eindrucksvoll, wie die Frau Professor berichtet hat, wie sie ihre Kinder mit nach Amerika genommen hat.“

Kinder, Klinik, Karriere

Doch die Frauenförderung beschränkt sich nicht „auf gutes Zureden“, wie Hochleitner klarstellt: „Wir versuchen, für Kinderbetreuung zu sorgen, die möglichst ganzjährig läuft und den Arbeitszeiten unserer Mitarbeiterinnen entspricht.“ Nächtliche Kinderbetreuung nach schwedischem Vorbild wurde auch immer wieder angeboten. In Anspruch genommen hat sie allerdings niemand. Spezielle Betreuungsangebote für kranke Kinder kommen dagegen gut an. Dass Kinderbetreuung noch immer ein vorwiegend weibliches Thema ist, liegt nicht unbedingt an der mangelnden Bereitschaft der Väter, sich die Familienarbeit aufteilen.

„Ich habe schon den Eindruck, dass die jungen Männer, auch die jungen Ärzte, heute durchaus gerne bereit sind, sich in der Kinderbetreuung einzubringen“, meint Hochleitner. Doch zwischen dem Rechtsanspruch auf Väterkarenz und der gesellschaftlichen Realtität herrsche noch immer eine massive Divergenz, wie Hochleitner veranschaulicht: „Trauen Sie sich einmal als junger Mann, der Karriere machen will, in der Klinik zu sagen, sie gehen in Karenz. Glauben Sie im Ernst, das hat keine Konsequenzen?“ Durch universitäre Fördermaßnahmen gesellschaftliche Vorurteile zu ändern, hält Hochleitner allerdings für „optimistisch“.

 

Helene Wastl Mentoring Programm
Das Frauen-Mentoring-Programm an der Med-Uni Innsbruck startet immer im Herbst und richtet sich an Ärztinnen in Facharztausbildung, Postdoktorandinnen, PhDs und Habilitandinnen.
www.gendermed.at

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune