Keine Angst vor Veränderung

Einige Jahre redeten wir davon, nun ist es wirklich ernst geworden. Unsere Apotheke ist umgezogen, besser gesagt für zirka eineinhalb Jahre in einen Container. Wenn diese Kolumne veröffentlicht wird, arbeiten wir schon dort. Zunächst haben wir uns alle vor diesem Schritt gefürchtet.  Aus  meiner  Forschungszeit weiß ich noch, wie mühsam das Leben in einem Container sein kann. Damals sah der Container aus wie eine Wellblechhütte aus einem Entwicklungsland. Im Sommer war es stickig und heiß, im Winter erfroren wir fast. Aber das war in den 1990er-Jahren. Ich persönlich neige, wie auch einige unserer nostalgisch veranlagten KundInnen, dazu, einem alten Gründerzeithaus schon im Voraus nachzutrauern, von denen derzeit viel zu viele in unserer Stadt abgerissen werden.

Bei uns ist es tatsächlich anders, das Haus war dermaßen abgewohnt und kaputt, dass wirklich nichts mehr zu retten war. Einige Zungen behaupten ja, dass nur noch die Apotheke im Erdgeschoß die gesamte Statik des Hauses hielt. Natürlich hätte man das Haus besser pflegen können, aber da bestand offensichtlich  kein  Interesse.  Der Neubau ist also erwünscht. Na gut, soll sein. Unsere Mitbewohner, die von Abschiebung bedrohten Flüchtlingsfamilien, waren schon länger ausgezogen. Arbeiter rissen hinten  im Hof ab, während wir noch drin waren. Die Reaktionen unserer KundInnen waren unterschiedlich. Die Kommentare reichten von „Oh mein Gott, ihr Armen! Wie können wir euch das Leben versüßen?“ bis hin zu „Oje, da muss ich mir jetzt eine andere Apotheke suchen!“ Es galt also, noch viel Aufklärungsarbeit an der alten Tara zu machen. Obwohl fast fertig und schräg gegenüber, sahen die Leute den Container nicht auf Anhieb. Wir bastelten Plakate und Pfeile und redeten uns den Mund fusselig. Es würde schon klappen, die Sache spricht sich ja herum.

Das  wahre  Wunder  jedoch geschah in den letzten Tagen vor dem Umzug direkt vor unseren Augen: Der Container selbst. Wer hätte gedacht, dass es vollständig durchdachte Konzepte für so etwas gibt!  Gegenüber  unserem  alten Standort entstand eine vollständige Apotheke,  mit allem Drum und Dran. Kurz darauf war auch in großen Lettern unser Name darauf zu lesen. Aber wirklich staunen mussten wir über die schöne Innenausstattung. Wir würden tatsächlich von Mohnblüten umgeben an der Wand arbeiten! Die Arbeiter begriffen nicht ganz, warum wir das lustig fanden.

cartoon_hallo

Im Winter werden wir per Infrarotheizung  erwärmt, im Sommer gibt es eine ausgeklügelte Klimaanlage. Eine echte Holztreppe führt in ein Obergeschoß, in dem sich auch das sehr schöne Nachtdienstzimmer befindet. Na gut, ich muss mich noch ein bisschen an den Gedanken gewöhnen, dass ich mehrmals nachts die Treppe raufund runterlaufen werde, aber das wird schon. Ich sehe von dort oben direkt in Baumkronen.  Ein Freiraum daneben ließ in uns sofort die Phantasie entstehen, auf einer Terrasse Kaffee zu trinken, aber das geht leider zu weit. Der Umzug selber war noch eine enorme Herausforderung, aber jedenfalls fürchten wir uns nicht mehr und blicken voll Zuversicht in die nächsten eineinhalb Jahre!