22. Juni 2017

Ein kranker Stoffwechsel kann doch wehtun

Stoffwechselkrankheiten können eine Vielzahl von Symptomen verursachen, die mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises verwechselt werden können. Das Management der Wahl besteht im Prinzip in der optimierten Behandlung der Grundkrankheit. (Medical Tribune 24/2017)

Gelenksschmerzen können mannigfaltige Ursachen haben. Rheumatische Erkrankungen sind naheliegende Ursachen, doch können auch verschiedene Stoffwechselerkrankungen zu Beschwerdebildern führen, die nicht immer leicht von Rheuma abzugrenzen sind. Endokrine Arthropathien können, so Dr. Stefan Egger vom Klinikum Malcherhof in Baden, beispielsweise durch Diabetes mellitus oder Erkrankungen der Schilddrüse oder der Nebenschilddrüsen auftreten.

Ursache: Diabetes mellitus

Typische Spätkomplikation: Chiroarthropathie

Als eine typische Spätkomplikation des Diabetes mellitus nennt Egger die auch als „Stiff-Hand-Syndrome“ oder „Limited Joint Mobility Syndrome“ bekannte Chiroarthropathie. Die Patienten fallen klinisch dadurch auf, dass sie ihre Handflächen nicht mehr flach aneinanderlegen bzw. die Finger nicht vollständig ausstrecken können. Klatschen ist nicht mehr möglich. Man spricht auch vom Bild der „betenden Hände“. Dieser Zustand entwickelt sich langsam, verursacht keine starken Schmerzen und führt lediglich zu geringer Behinderung. Betroffen sind sowohl Typ-1- als auch Typ-2-Diabetiker, v.a. bei langer Krankheitsdauer und schlechter Einstellung.

Hintergrund des Phänomens sind laut Egger: „Exzessive Glykosylierung und verminderter Abbau von dermalem und periartikulärem Kollagen. Es kommt zu einer Verdickung des Bindegewebes und damit zu einer Kontraktur der Finger.“ Das Stiff-Hand-Syndrome verursacht so wenig Beschwerden, dass es meist ein Zufallsbefund ist. Gibt der Patient keinen bekannten Diabetes an, ist er unbedingt in diese Richtung abzuklären.

Schwere Behinderung durch Charcot-Fuß

Im Gegensatz zu Chiroarthropathie bedeutet der Charcot-Fuß eine schwere Behinderung. Hier führt die diabetische Neuropathie langfristig zu Schäden an Knochen und Gelenken mit Schwellung und Deformität v.a. am Tarso-Metatarsal-Gelenk und Sprunggelenk. Es können auch Knie, Hüfte und Wirbelsäule in Mitleidenschaft gezogen sein. Egger: „Der Charcot-Fuß ist uns allen aus dem Lehrbuch bekannt, mittlerweile aber zum Glück selten geworden – wenngleich wir immer noch betroffene Patienten sehen. Die Ursache ist eine schwere Neuropathie. Der Patient spürt seine Füße nicht mehr und schlägt mit der Zeit seine Gelenke kaputt. Dazu kommt eine autonome Dysfunktion mit Störungen in der Regelung der Durchblutung.“ Hyperämie führt in weiterer Folge zu einer Aktivierung der Osteoklasten und Knochenabbau.

Wichtig ist die Differenzialdiagnose zur Osteomyelitis: „Hier hilft das Röntgen. Beim Char­cot sind die Knochen zusammengeschoben, also im Röntgen dicht und scharfrandig. Die Osteomyelitis löst den Knochen auf. Dementsprechend sind im Röntgen unterschiedlich dichte Knochen mit unscharfen Rändern zu sehen.“ Bei Patienten mit Charcot soll die Therapie des Diabetes verbessert werden, wobei diese Maßnahmen für den Fuß um viele Jahre zu spät kommen. Die Situation der Betroffenen kann und soll mit orthopädischem Schuhwerk verbessert werden. Auf die Entwicklung von Ulzera ist zu achten.

Selten und wenig Verstanden: die diabetische Amyotrophie

Eine wenig verstandene Diabeteskomplikation ist die diabetische Amyotrophie, die klinisch meist mit heftigen Schmerzen im Bereich der Hüfte und der Oberschenkelmuskulatur beginnt. Die Beschwerden treten bei rund der Hälfte der Patienten unilateral auf. Hinzu kommen Appetit­losigkeit, Anorexie, Gewichtsverlust und Gehstörung. Egger: „Diese Symptome legen nahe, dass es sich hier um eine systemische Störung handelt.“ Die diabetische Amyotrophie ist selten, wird zu den Neuropathien gezählt, tritt v.a. bei Typ-2-Diabetikern auf und korreliert mit der Diabetesdauer, nicht jedoch mit dem HbA1c. Betroffen sind v.a. Männer im Alter zwischen 50 und 60 Jahren. Die Genese ist nicht vollständig geklärt: „Man nimmt an, dass es sich um eine immunmediierte Vaskulopathie des lumbosakralen Nervenplexus handelt. Das heißt, es kommt in den vasa nervorum zu einer Entzündungsreaktion, die zu einer Schädigung der Nerven führt. Die Neuropathie ist also die Folge der Entzündung.“ Die Therapie besteht in Analgesie, Physiotherapie und Immunmodulation mit intravenösen Immunglobulinen.

“Frozen shoulder”

Ebenfalls gehäuft tritt bei Diabetikern eine Capsulitis adhesiva („Frozen Shoulder“) auf. Typischerweise betroffen sind Frauen mit Typ-2-Diabetes und langer Krankheitsdauer. Leitsymptom sind diffuse Schulterschmerzen. Egger: „Die Gelenkskapsel entzündet sich, schrumpft und verklebt. Dieser Prozess kann über mehr als ein Jahr laufen und wird oft, jedoch nicht immer, durch ein Trauma ausgelöst. Die Frozen Shoulder bessert sich wieder, aber man braucht Geduld. Die lange Dauer der Erkrankung kann jedoch für die Patienten belastend sein.“ Auch hier gilt: Betroffene ohne bekannten Diabetes mellitus in dieser Richtung abklären. Ebenfalls gehäuft wird bei Diabetikern ein Karpaltunnelsyndrom gefunden.

Morbus Forestier bei adipösen Typ-2-Diabetikern

Bevorzugt beim adipösen Typ-2-Diabetiker wird die diffuse idiopathische skelettale Hyperostose (Morbus Forestier) gefunden. Es handelt sich dabei um eine Ossifikation des vorderen Wirbelsäulen-Längsbandes, die zu Bewegungsverlust führt. Eine Abgrenzung zum Morbus Bechterew ist sowohl anhand des Röntgen als auch der Klinik möglich: Während der M. Bechterew einen entzündlichen (Ruhe-)Schmerz verursacht, tut der M. Forestier bei Bewegung weh.

Ursache: Schilddrüse

Erkrankungen der Schilddrüse können ebenfalls zu Symptomen führen, die auch bei rheumatischen Erkrankungen gesehen werden. Im Falle einer Hypothyreose spricht man von „TRAP“ (Tunnelsyndrom [Carpal]), Raynaud’s Phänomen, Aching Muscle/Fibromyalgie und Proximale Muskelschwäche). Letztere ist auch mit einer Erhöhung der Kreatinkinase im Labor verbunden und tritt bei sehr deutlicher Hypothyreose mit einem TSH > 20 mU/ml auf. Darüber hinaus wird bei Hypothyreose gehäuft eine myomatöse Arthropathie gefunden, die sich in synovialer Schwellung, Erguss und Bandlaxizität durch vermehrte Hyaluronsäure im Gelenk äußern kann.

Im Gegensatz dazu führt die Hyperthyreose zu „TOAP“ (Thyroid Akropathie, Osteoporose, Adhäsiver Kapsulitis und Proximaler Muskelschwäche). Egger betont allerdings, dass die Akropathie selten ist und nur bei rund einem Prozent der Basedow-Patienten auftritt. Die Schilddrüsenwerte im Labor (TSH und T4) erlauben bei Auftreten des Symptoms Muskelschwäche eine gute Abgrenzung zur Immun-Myositis.

Quelle: 26. Ärztetage Grado, 25. Mai 2017

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune