Immuntherapien in der Uro-Onkologie

Stellenwert von Immuntherapien bei Tumorerkrankungen der Prostata und Harnblase sowie beim Nierenzellkarzinom. Ein Überblick. (CliniCum Uro 4/16)

Herunter mit der Tarnkappe
Herunter mit der Tarnkappe

Das Top-Thema der letzten Jahre in der Onkologie ist die Immuntherapie. Der immunonkologische Ansatz richtet sich nicht direkt gegen den Tumor, sondern zielt auf das Immunsystem des Patienten. Durch ihre genetische Heterogenität und Wandelbarkeit nämlich können sich Tumorzellen der körpereigenen Immunabwehr entziehen und ungehindert vermehren. Die in der Immuntherapie eingesetzten Antikörper blockieren nun jene Mechanismen, die Tumore verwenden, um das Immunsystem in seiner Funktion zu unterdrücken. Sind diese Bremsen gelöst, kann sich der Tumor nicht mehr vor dem Immunsystem verbergen. „Den Tumorzellen wird die Tarnkappe heruntergerissen“: Mit diesen Worten beschreibt Univ.-Prof. Dr. Walter Berger vom Institut für Krebsforschung, MedUni Wien, das Wirkprinzip der Immuntherapie.

Prostatakarzinom

„Neuerungen kommen immer in der Urologie als Letztes an“, klagt Univ.-Prof Dr. Gero Kramer, Universitätsklinik für Urologie, Wien. Das gilt offenbar im besonderen Maße für das Prostatakarzinom. Für diesen Tumor, der zu den häufigsten Krebserkrankungen des Mannes zählt, steht keine der innovativen Immuntherapien zur Verfügung. „Dabei wäre die Prostata ein ideales Organ für die Immuntherapie“, betont Kramer: „Schließlich handelt es sich um ein immunologisches Organ mit immunkompetenten Zellen.“ Kramer verweist auch nicht ohne Stolz darauf, dass das Prostatakarzinom der erste solide Tumor war, bei dem durch eine Immuntherapie im fortgeschrittenen, metastasierenden Stadium eine Lebensverlängerung erreicht werden konnte. Allerdings brachte die ziemlich komplizierte Behandlung mit dem Immuntherapeutikum Sipuleucel-T nur einen Überlebensvorteil von vier Monaten, außerdem wurde die Zulassung in Europa im Vorjahr widerrufen.

Nierenzellkarzinom

Bei zwei anderen Tumoren des Urogenitaltraktes sieht es freilich besser aus. Zur Bekämpfung des Nierenzellkarzinoms ist seit dem Vorjahr der Checkpoint-Inhibitor Nivolumab zugelassen. Checkpoint-Moleküle sind gewissermaßen die natürliche Bremse des Immunsystems. Sie dienen der Limitierung der Immunantwort nach Entzündungsreaktionen und zum Schutz vor Autoimmunkrankheiten. Tumorzellen können diese Bremse gezielt betätigen. Checkpoint- Inhibitoren sind nun Antikörper, die diese Bindungsstellen blockieren, so dass diese von den Tumorzellen nicht inaktiviert werden können. „Die Immuntherapie mit Nivolumab ist besser als die bisherige Standardtherapie“, fasst OÄ Dr. Ursula Vogl, Abteilung für Innere Medizin, St. Josef-Krankenhaus, Wien, die aktuelle Studienlage zusammen: „Die Therapie ist sehr gut verträglich und schränkt die Lebensqualität der Patienten kaum ein.“ Allerdings sprechen nur etwa 60 Prozent der Patienten auf diese Therapie an – und es gibt noch keinen Test, mittels dessen feststellbar ist, ob ein Patient auf die Therapie anspricht oder nicht. Glaubt man Vogl, wird der PD-1-Hemmer nicht der einzige Antikörper bleiben, der zur Behandlung des Nierenzellkarzinoms eingesetzt werden kann: „Wir sind in froher Erwartung, dass weitere Immuntherapeutika in den nächsten Jahren zugelassen werden.“

Harnblasenkarzinom

Auch bei der Behandlung von Krebserkrankungen der Darmblase – sowie des Nierenbeckens, der Harnleiter und des oberen Teils der Harnröhre – stehen mittlerweile immunonkologische Optionen zur Verfügung. „Der Durchbruch war heuer im Frühling“, erzählt Priv.-Doz. Dr. Anton Ponholzer, Vorstand der Abteilung für Urologie und Andrologie, KH der Barmherzigen Brüder, Wien: Da nämlich hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA Atezolizumab für die Behandlung von fortgeschrittenen Blasentumoren, die in der Erstlinientherapie nicht mehr angesprochen haben, sowie für Patienten, die für die klassische Erstlinientherapie nicht infrage kommen – z.B. aufgrund einer eingeschränkten Nierenfunktion –, zugelassen. In Österreich wurden und werden auch Nivolumab und Pembrolizumab off label eingesetzt. Die Zahlen stimmen Ponholzer hoffnungsvoll: Nivolumab hat bei insgesamt 24,3 Prozent der Patienten zu einer teilweisen oder kompletten Remission des Tumors geführt, bei 28 Prozent der Patienten ist die Erkrankung unter der Behandlung stabil geblieben. Unter Atezolizumab und Pembrolizumab haben sich die mittleren Überlebensraten verdoppelt, die Ansprechrate beträgt bei Atezolizumab 35 Prozent, bei Pembrolizumab 38 Prozent – im Vergleich zu zwölf Prozent bei den gängigen Erstlinientherapien.

„Immuntherapie bei Tumoren des Urogenitaltraktes“, Expertengespräch, Wien, 28.9.16

Von Mag. Michael Krassnitzer, MAS

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum uro&gyn