27. Sep. 2016

Ein echter Bergdoktor kommt ins Kino

Am 5. Oktober hat der Film „Bei Tag und bei Nacht. Aus dem Leben eines Bergdoktors“ in Österreich Premiere. Im Zentrum des Dokumentarfilms steht die Hausarztpraxis von Dr. Martin Guttner im Kärntner Oberdrauburg. Medical Tribune traf ihn zum Interview.

  • MT: Wie kam es dazu, dass Sie Hauptdarsteller in einem Film wurden?
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  • Guttner: Mein Bruder, Hans Andreas Guttner, ist der Regisseur des Films. Er sagte mir schon 2013, dass er mehrere Filmprojekte zur Förderung einreichen möchte, unter anderem das Porträt eines Landarztes – „das aber sicher nicht gewinnen wird“. Ein Jahr später erfuhr ich dann, dass dieses Projekt doch den Zuschlag bekommen hat. Im ersten Moment war das ein Schock für mich. Ich bin kein Mensch mit Profilierungsneurose – ich mag eher das ruhige, besinnliche Leben. Nach einer kurzen Bedenkzeit dachte ich mir jedoch: Blut ist dicker als Wasser – ich mach’s halt für den Bruder. Das Positive dabei, wenn man so etwas völlig Neues wie einen Film macht, ist, dass man aus den gewohnten Schienen herauskommt. Wichtig für mich war, dass ich den Beruf des Landarztes darstellen konnte. Falls uns unsere Enkel in 20 Jahren fragen: „Was war ein praktischer Arzt?“ – so porträtiert das dieser Film sehr schön.
  • MT: Ihr Bruder hat Sie gut ein Jahr lang mit der Kamera immer wieder in der Ordination und auf Hausbesuchen bei Bergbauernfamilien begleitet. Wie war das für Sie?
  • Guttner: Ich war verkabelt, hinter mir stand der Kameramann, vor mir der Tonmeister mit dem langen Mikrofon. Es war kaum mehr Platz in der Ordination für die Patienten. Natürlich war das anfangs gewöhnungsbedürftig. Die Patienten haben wir immer angewiesen: „Bitte nicht in die Kamera schauen, tut so wie wenn das Kamerateam nicht da wäre.“ Manche haben das ganz gut gemacht. Manche haben dann halt beim Rausgehen gesagt: „Auf Wiedersehen, die Herren …“
    Ein sehr wichtiges Thema war für mich die Wahrung von Schweigepflicht und Intimsphäre. Die Patienten haben alle vorab unterschreiben müssen, dass sie gefilmt werden wollen. Wer spezielle Probleme hatte und nur mit mir reden wollte, hat einfach nicht unterschrieben. Dann ist das Kamerateam rausgegangen. Ich behandle deshalb im Film hauptsächlich Bagatellerkrankungen.
  • MT: Gezeigt wird z.B. eine sehr alte, schwer kranke Patientin, bei der Sie auf Hausbesuch sind.
  • Guttner: Ja, die Frau war eine sehr gute alte Bekannte. Die Tochter wollte, dass man sie zeigt, und mein Bruder fand es wichtig zu porträtieren, dass eben auch schwer Kranke und Sterbende vom Landarzt versorgt werden. Wir haben versucht die Passage so würdig wie möglich zu gestalten. Sie ist ein schönes Andenken an die alte Frau, die mittlerweile verstorben ist.
  • MT: Die Zahl der Menschen, die in Österreich von der Landwirtschaft leben, ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts von über zwei Drittel der Bevölkerung auf 0,5 Prozent zurückgegangen, 36 Prozent davon sind offiziell Bergbauern. Kann man angesichts dessen als „Bergdoktor“ noch das finanzielle Auslangen finden?
  • Guttner: Die Bergbauern sind ja nur ein kleiner Teil unserer Patienten, sie haben auf unser Einkommen keinen großen Einfluss. Aber wie ich vor 30 Jahren als Landarzt begonnen habe hier, haben wir 1400 Einwohner im Ort gezählt, jetzt nur noch knapp 1200. Es gibt also eine Abwanderung vom Land, die man spürt, trotz der Asylwerber, die wir momentan im Ort haben. Ohne Hausapotheke könnten wir Landärzte nicht überleben. Auch die Patienten profitieren von der Hausapotheke. Während junge Patienten meist keine Probleme damit haben, in die nächste Apotheke zu fahren, sind viele alte Menschen ohne Auto. Es gibt keine Busanbindungen in den Bergen. Wenn sie niemand mitnimmt, hätten sie einen dreistündigen Fußmarsch bis zu meiner Ordination. Daher ist es für diese Familien eine besonders große Erleichterung, wenn ich am Samstagabend einen Hausbesuch mache und notwendige Medikamente mithabe. Wir Landärzte legen weite Strecken mit dem Auto zurück – bei jedem Wetter, bei Tag und bei Nacht. Das ist nicht immer ungefährlich.
  • MT: Sie gehen am 1. Oktober in Pension. Das System zwinge Sie dazu, werden Sie im Infomaterial zum Film zitiert. Wie kann man das verstehen?
  • Guttner: Ich kenne mehrere Kollegen, die wie ich sagen: Mit den Patienten könnten wir ewig arbeiten, auch mit 80 Jahren noch. Landarzt zu sein ist immer noch mein Traumberuf. Aber wenn vom System her immer mehr Schikanen kommen, wird man einfach müde. Wie ich als Praktiker begonnen habe, war ich Freiberufler. Mittlerweile sind wir zu „Pflichtberuflern“ geworden: Zwei Drittel unserer Arbeitszeit gehen für Administration drauf, nur ein Drittel bleibt für die Patienten. Das ist absolut unbefriedigend.
  • MT: Gibt es schon einen Nachfolger für Ihre Kassenpraxis?
  • Guttner: Es kommt ein Kollege aus dem Nachbarort Kötschach. Er ist 43 Jahre alt und Anästhesist. Auch in drei benachbarten Sprengeln wurden freie Stellen nicht mit Kollegen der aussterbenden Gruppe der Turnusärzte nachbesetzt, sondern mit Fachärzten aus dem Spital, deren Arbeitsfrust oftmals noch größer ist. So wird zwar das Landärztesterben nicht gar so schnell voranschreiten, es kommt jedoch zu Versorgungslücken in den Krankenhäusern.
  • MT: Was muss geschehen, damit sich wieder mehr Jungärzte für Landarztstellen interessieren?
  • Guttner: Wir brauchen erstens eine adäquate Bezahlung für adäquate Leistungen. Wir brauchen zweitens die gleiche Bezahlung für gleiche Leistungen. Limitierungen sind unfair und auch in anderen Branchen undenkbar. Und wir brauchen drittens zumutbare Arbeitsbedingungen. Bis vor Kurzem hatten wir noch Notdienste unter der Woche, die sehr belastend sind. Jetzt kann man sich’s aussuchen, ob man Notdienste übernimmt oder nicht. Das macht’s schon viel leichter. Aber unsere Wochenenddienste dauern nach wie vor von Samstag in der Früh bis Montag in der Früh, das sind 52 Stunden. Ich kenne keinen anderen Beruf, bei dem man 52 Stunden Dienst hat. Das macht kein Junger freiwillig – wenn er noch dazu schlecht bezahlt wird. Man könnte z.B. die Wochenenddienste auf eine Stunde Bereitschaft in der Früh und notwendige Krankenbesuche am Abend beschränken. Dann bleibt zumindest dazwischen Zeit für die Familie.
  • MT: Die Gesundheitsreform sieht für den ländlichen Bereich zwar keine PHC-Zentren, aber gut vernetzte Primärversorgungsmodelle vor. Ist das für Ihre Region vorstellbar?
  • Guttner: Zu unserem Sprengel gehören drei Orte im Umkreis von 10 km mit insgesamt 5500 Einwohnern. Wenn ich diese kostengünstig abdecken will, geht das nur, wenn man einen Arzt pro Ort hat und die Kollegen sich mit Bereitschaften und Co abwechseln. Eine bessere Vernetzung miteinander wäre vielleicht möglich, es darf die Sache aber nicht weiter verkompliziert werden.
    An sich funktioniert unser Landarzt-System ja gut, es sollte keinesfalls durch anonyme Strukturen ersetzt werden. Auch regionale Versorgungszentren, die in entfernten größeren Städten eingerichtet werden, gefährden es, weil sich im Gegenzug immer weniger Bewerber für freiwerdende Kassenstellen am Land finden. Es muss uns klar sein, dass es wegen der großen Entfernungen dann bald auch keine Hausbesuche mehr geben kann …
  • MT: Kann ein Film wie „Bei Tag und bei Nacht“ wachrütteln?
  • Guttner: Ich glaube schon, dass dieser Film wichtig ist – für die Bergbauern, die Patienten und die Landärzte. Es werden die Probleme einem breiten Publikum aufgezeigt. Wir sind nur 150 Landärzte in Kärnten, uns nimmt niemand ernst, wenn wir vor dem Landarztsterben warnen, selbst von der Ärztekammer fühlen wir uns nicht gut vertreten. Aber Kärnten hat 560.000 Einwohner. Jeder kann Patient werden. Und wenn sich die Menschen auf die Füße stellen und sagen: Wir wollen, dass es weiter Ärzte am Land gibt, so hat die große Masse Macht, der die Politik dann hoffentlich folgt.
  • MT: Was wünschen Sie sich für die Bergbauernregion und ihre Menschen?
  • Guttner: Ich wünsche mir, dass die kleinen Orte keine Geisterorte werden ohne jegliche Struktur, also ohne Arzt, Lebensmittelgeschäft etc. Die Bergbauern können uns auch in Krisenzeiten mit allen Grundnahrungsmitteln versorgen, sie sind eine immens wichtige regionale Versorgungstruktur in unserer globalisierten Welt. Es ist gut, wenn jedes Land autark ist. Deshalb brauchen auch die Bergbauern Unterstützung im Kampf um die Erhaltung ihrer Lebensweise und gegen die Auswirkungen der Globalisierung. Sie haben harte Arbeits- und Lebensbedingungen. Sie müssen wie wir Landärzte adäquat für ihre Leistungen bezahlt werden.
  • Danke für das Gespräch!
  • Gewinnspiel

    Gewinn: Eintrittskarten/Kinogutscheine für den Film “Bei Tag und bei Nacht”, gültig während der Laufzeit (Ausgenommen ist die Premiere).
    Wir vergeben je 2 Karten an jene(n) medONLINE User oder Userin, welche(r) im Kommentarbereich unten postet, wieso gerade er/sie diesen Film sehen sollte.
    Die originellste Antwort hat die besten Chancen auf den Gewinn, der/die Gewinner werden am Montag den 3. Oktober per E-Mail verständigt.

    Premieren-Tour

    Wien: 5.10., Wiener Filmcasino;
    NÖ: 9.10., Cinema Paradiso, St. Pölten;
    Osttirol: 10.10., Cine-X, Lienz;
    Kärnten: 11.10., Stadtkino Villach;
    Nordtirol: 12.10., Leokino, Innsbruck;
    OÖ: 13.10., Moviemento-Kino, Linz;
    Salzburg: 14.10., Das Kino Salzburg;
    OÖ: 16.10., Programmkino Wels.

    Premieren in Anwesenheit von Regisseur Hans Andreas Guttner und/oder Protagonist Dr. Martin Guttner.
    Info: www.beitagundbeinacht.com

    Von Mag. Karin Martin

    Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune