13. Okt. 2015

Gerecht sparen, wie geht das?

Ärzte dürfen mit der Entscheidung über Rationierungen im Gesundheitswesen nicht alleingelassen werden, fordert die Bioethikkommission und widmet sich damit einem Tabuthema.

Die Gesellschaft muss einen Konsens über die zur Verfügung stehenden Leistungen erzielen, sagt die Bioethikkommission. Diese Entscheidung darf nicht dem einzelnen Arzt zugemutet werden.
Die Gesellschaft muss einen Konsens über die zur Verfügung stehenden Leistungen erzielen, sagt die Bioethikkommission. Diese Entscheidung darf nicht dem einzelnen Arzt zugemutet werden.

Wer offen über Rationierungen im Gesundheitswesen nachdenkt, rührt an ein Tabu. Gleichzeitig sind implizite Rationierungen längst an der Tagesordnung. Die Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes will sich deshalb jetzt mit der heiklen Frage beschäftigen, nach welchen Kriterien die immer knapper werdenden Mittel zu verteilen – oder vorzuenthalten – sind.

„Über alles zu reden heißt nicht, alles zuzulassen“, betonte die Juristin Dr. Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission, bei der öffentlichen Sitzung „Medizin und Ökonomie – ein Tabu?“, mit welcher die Debatte zu diesem Thema kürzlich eröffnet wurde. „Aber die heutige Höchstleistungsmedizin ist teuer, und wir müssen einen Konsens über die zur Verfügung stehenden Leistungen finden“, so Druml. Mit dieser Entscheidung dürfe aber der einzelne Arzt am Krankenbett nicht alleingelassen werden, erklärte sie: „Das sind Entscheidungen, die die Gesellschaft zu treffen hat.“ Im Fokus müssten dabei das Wohl des Einzelnen und die soziale Gerechtigkeit stehen.

Die Gerechtigkeitsfrage stelle sich dann, „wenn wir nicht mehr allen alles geben können“, erklärte Prof. Dr. Alena Buyx, MA, Professorin für Medizinethik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Dass es im Gesundheitswesen bereits zu Engpässen kommt, dafür gibt es immer mehr Evidenz. So habe etwa eine Studie in Deutschland ergeben, dass Krankenhausärzte den Patienten aus Kostengründen regelmäßig Leistungen vorenthalten, die medizinisch sinnvoll sind, sagte Buyx: „13 Prozent tun dies mindestens einmal die Woche.“ (Daniel Strech und Georg Marckmann, DMW 2009; 134: 1261–1266). Diese Art von Rationierung geschehe ungesteuert und verdeckt, so Buyx: „Das passiert nicht transparent, nicht explizit und auch nicht unbedingt bedarfs­orientiert, sondern hängt vom jeweils vorgegebenen Budget und der jeweiligen Pauschalisierung ab.“

Ähnliches berichtete die Wiener Pflegewissenschaftlerin Priv.-Doz. Mag. Dr. Berta Schrems für den Bereich der Pflege: „Es wird rationiert, und es wird implizit rationiert, ohne eine explizite Priorisierung.“ Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse der internationalen Pflegestudie RN4Cast: In Deutschland gaben etwa mehr als 55 Prozent der befragten Pflegepersonen an, dass sie die Aktualisierung des Pflegeplans nicht jedes Mal zu ihrer Zufriedenheit durchführen können, 51 Prozent können Beratung und Anleitung nicht so anbieten, wie es wünschenswert wäre. Wenn aufgrund von Personalmangel die Zeit nicht reiche, steige die Zahl an Komplikationen und unerwünschten Ereignissen, was wiederum die Kosten insgesamt erhöhe, betonte Schrems.

Evidenzbasierte Priorisierung

Über die Voraussetzungen kostenbewusster und ethisch vertretbarer ärztlicher Entscheidungen referierte der Medizinethiker Prof. Dr. Georg Marck­mann, MPH, von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er plädierte für eine evidenzbasierte Priorisierung medizinischer Leistungen, etwa in Form kostensensibler Leitlinien als Instrument einer „ethisch vertretbaren Rationierung“. Dabei gelte es, Patienten-Subgruppen auszuschließen, die nicht oder nur wenig von einer Maßnahme profitieren würden im Vergleich zu einer weniger teuren Behandlungsalternative.

Im Einzelfall sollte ein Arzt im Sinne eines ethischen Kostenbewusstseins vier Punkte beachten, sagte Marck­mann: die Berücksichtigung der Evidenz zu Wirksamkeit, Nutzen und Risiken einer Maßnahme; die konsequente Befolgung individueller Patientenpräferenzen; die Minimierung des Ressourcenverbrauchs für das Erreichen eines Therapieziels; und die Unterlassung teurer Maßnahmen mit geringem/fraglichem Nutzen bei Verfügbarkeit kosteneffektiverer Alternativen.

Durch die konsequente Berücksichtigung von Patientenwünschen könnte insbesondere am Lebensende Überbehandlung vermieden werden, zeigte sich Marckmann überzeugt. Laut einer amerikanischen Studie, die in Intensivstationen durchgeführt wurde, verbrachten Patienten, denen Ethikberatung zuteil wurde, kurz vor dem Tod signifikant weniger Tage im Krankenhaus, auf der Intensivstation und am Beatmungsgerät als Patienten ohne Ethikberatung – bei gleicher Mortalität (Schneiderman et al., JAMA 2003; 290(9): 1166–1172). In diesem Sinne könnten auch Advance-Care-Planning-Programme zu erheblichen Kostenreduktionen beitragen, so Marckmann: „Aber die Sache ist natürlich heikel, denn der Gesprächsprozess muss offen bleiben und darf nicht von Kostenüberlegungen infiziert werden. Würde man versuchen, die Patienten immer von Intensivtherapie abzubringen, so wäre das sicherlich nicht im Sinne dieser Instrumente.“

Zu den Ursachen des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen zählen neben dem demografischen Wandel auch der rasante medizinische Fortschritt und Medikamentenpreise. Darüber sprach am Beispiel der Hepatitis-C-Medikation der Hepatologe Univ.-Prof. Dr. Peter Ferenci von der MedUni Wien. In Österreich wird etwa Sovaldi derzeit nur bei fortgeschrittenen Fibrosestadien verabreicht, andere Patienten müssen warten. Dabei könnten damit auf lange Sicht Folgekosten vermieden werden, so Ferenci. Er plädierte aber auch für mehr Kontrolle der Medikamentenpreisgestaltung durch die öffentliche Hand: So sollten Pharmafirmen verpflichtet werden, bei Einreichung eines Medikaments die Entwicklungskosten offenzulegen, und Versicherungen sollten sich nur dann zu einer Kostenübernahme bereit erklären, wenn die Berechnung des Preises anhand der realen Entwicklungskosten erfolgt, wünschte sich Ferenci. Über Generika referierte der Pharmakologe Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt von der Med­Uni Wien und sagte, deren Einsparungspotenzial werde in Österreich noch nicht ausreichend genutzt.

Autorin: Mag. Petra Vock

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune