16. Mai 2014

EU: Eine gesundheitspolitische Umfrage

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WIEN/STRASSBURG – Am 25. Mai wählt Österreich 18 der insgesamt 751 Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Dieses wählt dann den vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Kommissionspräsidenten. Medical Tribune bat sechs der neun wahlwerbenden Gruppen um gesundheitspolitische Statements.

Obwohl die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in der Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten liegt, beschäftigt sich die EU intensiv mit dem Thema Gesundheit. Die Gesundheitspolitik der EU will die Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzen und Synergien schaffen. Themen wie Prävention, der Schutz vor grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren, Patientensicherheit und Qualitätssicherung stehen daher regelmäßig auf der Agenda des EU-Parlaments. Medical Tribune stellte sechs von neun kandidierenden Gruppierungen (Auswahl erfolgte nach der Listen-Reihung bzw. der bisherigen Mitarbeit in Ausschüssen) folgende zwei gesundheitspolitische Fragen.

1. Was waren aus Ihrer Sicht die Highlights in den letzten fünf Jahren in der EU-Gesundheitspolitik?
2. Was sind für Sie die dringlichsten Aufgaben auf EU-Ebene im Bereich Gesundheit für die nächsten fünf Jahre?

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ÖVP, Spitzenkandidat
Mag. Othmar Karas

1. Die Europäische Union hat gezeigt, dass sie als Gemeinschaft handlungsfähig und lösungsorientiert ist, insbesondere bei großen Herausforderungen. Eine große Leistung war sicherlich die Richtlinie über Patientenrechte und der neue Rechtsrahmen zur laufenden und systematischen Überwachung der Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz). Außerdem konnte das Parlament durchsetzen, dass es auch in Zukunft ein EU-Gesundheitsprogramm im Umfang von 446 Mio. Euro bis 2020 gibt. Damit werden Projekte zur bestmöglichen Kooperation im Gesundheitsbereich finanziert.
2. Im Fokus steht eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und gegenseitige Unterstützung bei der Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen. Das betrifft insbesondere das aktive und gesunde Älterwerden der Menschen auf diesem Kontinent. In dieser wichtigen sozialen, aber auch ökonomischen Frage brauchen die einzelnen Länder Unterstützung und gegenseitigen Erfahrungsaustausch. Um diesem Punkt Rechnung zu tragen, ist im Sinne der Prophylaxe die Umsetzung der grenzüberschreitenden Gesundheitsvorsorge voranzutreiben sowie der Kampf gegen chronische Erkrankungen zu forcieren. Außerdem braucht es notwendigerweise eine Stärkung der Frühwarnsysteme und der europäischen Krisen-, Hilfs- und Koordinierungsmechanismen für den Fall von grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren. Ebenfalls wird die Verbesserung von Medizinprodukten bzw. bei der Medikamenten- und Patientensicherheit weiter ein Thema sein. Und die Fragen der Ernährung und Nahrungsmittel sind wichtiger Bestandteil der Gesundheitspolitik, die einen großen Schwerpunkt bilden. Dazu gehört klarerweise, dass wir kein gentechnisch manipuliertes Essen auf den Tisch bekommen und dass es keinen Import von Hormonfleisch oder Chlorhühnern gibt.

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SPÖ, MEP
Karin Kadenbach (Mitglied im ENVI, Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit):

1. Der Gesundheitsausschuss, der auch Umwelt-, Klima- und Ernährungspolitik umfasst, hat von 2009 bis 2014 die meisten Gesetzesvorlagen im Europäischen Parlament federführend behandelt. Ein großer Schritt und mein persönliches Highlight ist die Tabakrichtlinie. 65 Prozent Warnhinweise auf Packungen sowie das Verbot von Zusatzstoffen sollen vor allem Jugendliche vom Griff zur Zigarette abhalten. Einen entscheidenden Vorstoß für mehr Transparenz gab es bei der Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen bei klinischen Tests. Außerdem konnten Verbesserungen bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung und bei der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten im Falle von Pandemien erreicht werden. Eine deutliche Stärkung der KonsumentInnenrechte konnten wir im Bereich der Lebensmittelsicherheit durch das Verbot missverständlicher Etikettierungen erreichen.
2. Die zukünftigen Herausforderungen, die auch im dritten Aktionsprogramm im Bereich Gesundheit festgehalten wurden, sind die Verbesserung des Zugangs zu einer sicheren Gesundheitsversorgung für alle EU-BürgerInnen, die Förderung von Innovation und der Schutz vor grenzübergreifenden Gesundheitsbedrohungen. Ein großes Anliegen sind mir auch Bestrebungen zur Förderung und Hebung der Gesundheitskompetenz, weil sie ein wichtiger Beitrag für die Prävention von Gesundheitsrisiken sind. Mündige BürgerInnen müssen genügend Informationen erhalten, die ihnen beim Treffen wichtiger gesundheitsrelevanter Entscheidungen helfen und das Gesundheitsbewusstsein fördern. Auf keinen Fall darf es zu Kürzungen im Gesundheitsbereich kommen, die wegen der Wirtschaftskrise immer wieder gefordert werden. Einsparungen, speziell in der Prävention, sind alles andere als sinnvoll und hätten langfristig nur ein Anwachsen der Kosten zur Folge.

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FPÖ, Spitzenkandidat
Harald Vilimsky:

1. In den letzten fünf Jahren wurden der europäischen Gesundheitsund Sozialpolitik vor allem Highlights im negativen Sinn beschert. Wenn beispielsweise in Deutschland rund 30 Kliniken ihren Betrieb einfach einstellen müssen, Ärzte nach Regressansprüchen wegen angeblich zu teurer Medikamentenverschreibungen in Konkurs gehen, wenn ein Land wie Österreich sich einem Millionen Euro schweren Sozialmissbrauch aus den östlichen Mitgliedstaaten gegenüber sieht, der durch die EU noch gefördert wird, dann läuft hier etwas grundlegend falsch in der europäischen Gesundheits- und Sozialpolitik. Man versucht nicht nur durch Vorhaben wie einer europäischen Sozialunion jene Mitgliedstaaten zu belasten, deren Gesundheitssystem noch weitgehend intakt ist. So ist neben der unsicheren finanziellen Komponente auch der bürokratische Aufwand im Gesundheitswesen viel zu umfangreich.
2. Wir brauchen ein EU-weites Umdenken, wir brauchen schlüssige Konzepte zur Ärzteversorgung und Best-Practice-Vergleiche. Dem Kinderschwund muss durch eine bessere Familienförderung der autochthonen Bevölkerung entgegengetreten werden. Anreizmodelle für eine gesunde Lebensweise müssen geschaffen werden. Zudem sollen bei Kürzungen von sozialen Leistungen oder bei Abstrichen im Gesundheitssystem auf EU-Ebene die Bürger mitentscheiden. Des Weiteren muss dem Sozialmissbrauch gerade auf EU-Ebene ein Ende gesetzt werden, indem für Sozialleistungen das Herkunftslandprinzip gelten soll, sodass unabhängig vom Aufenthaltsort die Leistungen des Heimatlandes an Sozialleistungsempfänger bezahlt werden sollen. Schließlich muss eine Entbürokratisierung erfolgen, indem man die Gesundheits- und Sozialpolitik auf föderalem Wege löst.

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Die Grünen, Spitzenkandidatin, MEP
Mag. Ulrike Lunacek:

1. 2011 hat das Europäische Parlament eine Richtlinie über grenzüberschreitende Gesundheitsdienstleistungen verabschiedet. Die Grünen konnten dabei den Versuch der Kommission stoppen, Gesundheitsdienstleistungen unter dem Deckmantel der PatientInnenrechte zu einer Ware auf dem Binnenmarkt zu machen. Es ist in den Verhandlungen mit dem Rat gelungen, PatientInnenrechte bei einer Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat zu sichern, ohne die nationalen Gesundheitssysteme zu unterwandern. Wichtig ist, dass qualitativ hochwertige Gesundheitsdienstleistungen kein Exklusivrecht werden, sondern ohne finanzielle Nachteile von jedem in Anspruch genommen werden können. Hier fordern wir Grüne von den Mitgliedstaaten mehr Engagement für eine gute Gesundheitsversorgung für jede Bürgerin und jeden Bürger in der EU.
2. Das EU-Parlament muss sich weiterhin für strengere Regeln für Medizinprodukte zum Schutz der öffentlichen Gesundheit einsetzen. Die Skandale der vergangenen Jahre um fehlerhafte Brustimplantate oder künstliche Hüftgelenke haben gezeigt, dass die bisherige europäische Gesetzgebung für Medizinprodukte nicht ausreicht, um Sicherheit für Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Leider fand sich bisher keine Mehrheit für ein spezielles Zulassungsverfahren für Hochrisikoprodukte. Genauso bedauern wir, dass die Forderung, innovative Produkte mit hohem Risiko zunächst mit existierenden Behandlungen zu vergleichen, bislang keine Mehrheit gefunden hat. Produkte, die mit besonderen Risiken verbunden sind, müssen besser geprüft werden, bevor sie auf den Markt gelangen. Nur so kann die Sicherheit für Patientinnen und Patienten gewährleistet werden.

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BZÖ, Spitzenkandidatin, MEP
Mag. Angelika Werthmann (Ex-Mitglied der Liste MARTIN; Mitglied im BUDG, Ausschuss Haushalt)

1. Besonders hervorheben möchte ich die Arbeit an der Schriftlichen Erklärung zur Epilepsie aus dem Jahr 2011. Diese war die dritterfolgreichste Schriftliche Erklärung in der Geschichte des Parlaments. Ein rezenteres Beispiel ist die Verordnung über die Anpassung des Genehmigungssystems für Medizinprodukte. Die derzeitigen Schwächen bestehend aus Mangel an Transparenz, rascher Genehmigung und raschem Inverkehrbringen von Medizinprodukten trotz unzureichender Prüfungen an Patienten wurden in diesem Bericht deutlich hervorgehoben. Ziel war es, auf die Gefährdung der Patienten hinzuweisen und diese gleichzeitig zu unterbinden. Auch der Bericht über „Klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln“ stellt in diesem Sinne einen positiven Wendepunkt dar, da durch die Verlagerung der klinischen Prüfungen in Schwellenländer dem Fortschritt der Medizin und somit auch dem Patienten geschadet wurde. Selbstverständlich wurde noch weitaus mehr auf europäischer Ebene geleistet, aber diese Entscheidungen und ihre nachhaltigen Auswirkungen zeigen das facettenreiche Bild der EU-Gesundheitspolitik.
2. Europa wird sich auch in der Gesundheitspolitik künftig großen Aufgaben stellen. Vor allem die Diagnostik und Prävention neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer und Demenz müssen stärker thematisiert werden. Ein weiterer Punkt ist der Mangel an ausgebildeten Pflegekräften bzw. die oftmals schlechten Arbeitsbedingungen im medizinischen Bereich insgesamt. Damit verbunden sind eine verschlechterte Patientenversorgung und die Qualitätsabnahme der medizinischen Versorgungsdienstleistungen, die nicht akzeptabel sind. In diesen beiden Punkten sehe ich große naheliegende Herausforderungen, die auf keinen Fall vernachlässigt werden dürfen.

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REKOS (Die Reformkonservativen), Spitzenkandidat, MEP
Mag. Ewald Stadler (Ex-Mitglied des BZÖ; Mitglied im ENVI)

1. Ein Highlight war sicherlich die Verabschiedung der Medizinprodukte-Verordnung im Herbst 2013. Auch das neue Gesundheitsprogramm ist ein wichtiger Schritt. Das Programm wird vor allem Vorsorgekampagnen gegen chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Adipositas sowie Aufklärungskampagnen zu Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch sowie falsche Ernährung und unzureichende körperliche Bewegung finanziell unterstützen.
2. Wenn die Datenschutz-Verordnung so wie geplant eingeführt wird, dann ist auch der Bereich der Gesundheitspolitik mitbetroffen. Ich werde hier intensiv gegen die sogenannten delegierten Rechtsakte der EU-Kommission (mit den delegierten Rechtsakten kann man das Parlament umgehen und ohne Abstimmung Recht setzen) vorgehen, die in einer Vielzahl in der Datenschutz-Verordnung vorgesehen sind. In diesem Zusammenhang wird auch ELGA eine Rolle spielen.

Parteien und Spitzenkandidat/innen

Neun Listen treten bei der EU-Wahl in Österreich am 25. Mai an (in Klammer Europaparteien):

  • ÖVP – Liste Othmar Karas (Europäische Volkspartei): Mag. Othmar Karas
  • SPÖ (Sozialdemokratische Partei Europas): Eugen Freund
  • FPÖ (Europäische Allianz für Freiheit): Harald Vilimsky
  • Die Grünen – Die Grüne Alternative (Europäische Grüne Partei): Mag. Ulrike Lunacek
  • BZÖ – Liste Mag. Werthmann: Mag. Angelika Werthmann
  • NEOS – Das Neue Österreich und Liberales Forum (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa): Dr. Angelika Mlinar
  • REKOS/Die Reformkonservativen – Liste Ewald Stadler (Bewegung für ein Europa der Freiheit und der Demokratie): Mag. Ewald Stadler
  • ANDERS/Europa Anders – KPÖ, Piratenpartei, Wandel und Unabhängige (Europäische Linke/Europäische Piratenpartei): Mag. Martin Ehrenhauser, MBA
  • EUSTOP/EU-Austritt, Direkte Demokratie, Neutralität (EUSTOP will der Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie beitreten): DI Rudolf Pomaroli und Mag. Robert Marschall

Autor: Mag. Anita Groß

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune