Privatunis: Freier Wettbewerb oder Etikettenschwindel?

Über das seit geraumer Zeit emotional angespannte Verhältnis zwischen den privaten und öffentlichen Medizinuniversitäten des Landes diskutierten auf Einladung des CliniCums Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, Senatsvorsitzender der Medizinischen Universität Wien (MUW), und Univ.-Prof. Dr. Michael Rolf Müller, Sigmund Freud Universität (SFU). Gefragt hat Volkmar Weilguni (CliniCum 5/2017).

Foto: Barbara Bülow

Nirgendwo ist das Angebot an privaten Studienplätzen in Österreich so groß wie in der Medizin. Zuletzt schlug die Ankündigung eines US-amerikanischen Investors, in Mürzzuschlag eine Zweigstelle einer ukrainischen Universität zu errichten, hohe mediale Wellen. Angesichts der wachsenden Konkurrenz am PrivatUni-Markt machen sich die öffentlichen MedUnis nicht nur Sorgen um die Qualität der Ausbildung, sondern auch um das Renommee des Wissenschafts- und Forschungsstandorts Österreich insgesamt. Der Rektor der MedUni Wien, Univ.-Prof. Dr. Markus Müller, etwa sprach in einem Interview in der Tageszeitung Der Standard von einem „Handlungsbedarf“ bezüglich einer Neuregelung des Privatunigesetzes, weil aus seiner Sicht die Hürden, eine Privatuni zu gründen, derzeit „zu gering“ seien.

CliniCum: Die medizinischen Privatuniversitäten lukrieren den mit Abstand größten Anteil am Privatuni-Kuchen in diesem Land. Warum ist der Bedarf an alternativen Ausbildungsplätzen gerade im Medizinbereich so groß? Ist das öffentliche Angebot zu klein?

Michael Müller: Ich sehe jedenfalls kein Überangebot an Ausbildungsplätzen. Dieser Eindruck wird nicht zuletzt durch die schwieriger werdende Marktsituation bestätigt, wo es schon heute in vielen Regionen an Fachärzten mangelt. Auch wir müssen immer wieder unser OP-Programm einschränken, weil es an Anästhesisten fehlt. In anderen Fächern ist es ganz ähnlich.

Michael Gnant: Aus der jahrzehntelang proklamierten „Ärzteschwemme“ sind wir tatsächlich in einen zumindest relativen Ärztemangel hineingekommen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass wir noch immer die zweithöchste Ärztedichte in der EU haben. Aus dieser Tradition des phantastischen Überangebots haben sich ärztliche Tätigkeiten etabliert, die in kaum einem anderen Land der westlichen Welt in der Job Description von Ärzten stehen. Das ändert sich jetzt langsam, endlich. Auch wenn der Prozess äußerst mühsam ist, so gehen wir damit strukturell in die richtige Richtung. Die öffentlichen Universitäten haben zudem einen Qualitätsauftrag der universitären Lehre zu erfüllen. Das können wir nur erfolgreich machen, wenn die Zahl der Studierenden limitiert ist – oder die Ressourcen unendlich. Die Konsequenz der Zugangsbeschränkung ist klar erkennbar: Studierende, die heute aus einer öffentlichen MedUni kommen, sind viel besser ausgebildet, als wir das früher waren.

Quelle: www.studieren.at

Die Schlussfolgerung, auf die Abwanderung vieler Absolventen ins Ausland mit einer inflationären, strukturgegenteiligen und mit einem großen Qualitätsfragezeichen versehenen „Mehrproduktion“ an Absolventen zu reagieren, halte ich daher für nicht zielführend. Indem wir oben mehr hineinschütten, unter anderem in Privatunis von Mürzzuschlag bis Tulln, werden wir den stattfindenden Strukturwandel nicht beschleunigen. Die bloße Vermehrung der Med­Unis bringt für die Qualität der Versorgung keinen Mehrwert. Das gilt auch für öffentliche Unis, darum waren wir auch gegen den – verzichtbaren – Medizinstandort Linz.

MUW-Rektor Markus Müller hat seine Sorge um den „Ruf des Forschungsstandortes Österreich“ medienwirksam kundgetan und die Akkreditierungsbehörde AQA aufgefordert, Forschungsleistungen bei der Zulassung von Privatunis stärker zu berücksichtigen. Teilen Sie seine Sorge?

Gnant: Ja. Ich habe grundsätzlich nichts gegen ein privates Universitätskonzept. Wir fürchten uns auch nicht vor dem Wettbewerb, solange er unter halbwegs fairen Bedingungen stattfindet. Das passiert aber nicht. Für mich betreiben Privatunis vielmehr einen doppelten Etikettenschwindel. Sie sind de facto weder „privat“ noch „universitär“. Erstens: Woher kommt das Geld für Privatunis? Gebietskörperschaften zahlen hier oft massiv mit – und damit letztendlich die öffentliche Hand. Da bin ich als Repräsentant der öffentlichen Unis schon ein bisschen eifersüchtig: Wir leiden seit Jahrzehnten unter massivem Ressourcenmangel, trotzdem werden noch einmal Mittel aus dem Steuertopf, der bekanntlich endlich ist, für Privatuniversitäten abgezogen.

Zweitens: Universität muss immer forschungsbasiert sein. Daher ist auch die SFU für mich derzeit keine Universität, sondern eher eine Hochschule – sowohl was den akademischen Record der Lehrenden als auch die aktuellen Forschungsaktivitäten betrifft. Ich schlage daher für die selbsternannten „Privatunis“ vorerst befristete Start-Akkreditierungen als „Hochschule“ mit entsprechenden Vorgaben vor, die dann regelmäßig überprüft und gegebenenfalls die Akkreditierung angepasst oder auch zurückgenommen wird.

Müller: Ich gebe dir bis zu einem gewissen Grad recht. Natürlich soll es einen vergleichbaren Qualitätsüberprüfungsmechanismus für öffentliche wie private Universitäten geben, und die privaten Unis müssen selbstverständlich beweisen, dass sie ihre Akkreditierung zur Universität zu recht haben. Im konkreten Fall der SFU treffen aber alle von dir genannten Kriterien zu. Renommierte Professoren werden von einem internationalen Gremium berufen. Derzeit bestehen Verträge mit 60 Lehrenden, im Vollausbau sollen es 85 sein. Viele von ihnen sind übrigens Absolventen der MUW. Dazu kommen 200 wissenschaftliche Mitarbeiter.

Gnant: Aber Ordinarii alleine machen noch keine Universität. Du brauchst Forschungslabors, entsprechende Personalausstattung, Zugang zur klinischen Forschung, internationale Vernetzung etc.

Müller: Ist alles da. Ein eigenes Forschungsgebäude mit Labors wird gerade gebaut. Die Studierenden können aber auch jetzt schon an den Partnerspitälern Forschung betreiben, werden in die Forschungsarbeiten der Lehrenden aktiv eingebunden. Am Ende wollen wir aber nicht in erster Linie Wissenschaftler produzieren, sondern Ärzte mit wissenschaftlichem Hintergrund. Es stimmt auch nicht, dass der Forschungs-Output an der MUW so viel höher wäre als an der SFU. Nehmen wir das Beispiel Chirurgie: Hier sind hochqualifizierte und engagierte Leute im Team, die teilweise weit mehr Publikationen veröffentlicht haben als ihre Kollegen der MUW. Was wir im Gegensatz zur MUW als zusätzliche Qualitätskontrolle haben, ist eine regelmäßige Benotung der Lehrenden durch ihre Studenten. Wenn die Durchschnittsnote wiederholt über 2 liegt, wird der entsprechende Vertrag gekündigt.

Ist das in der Praxis auch schon exekutiert worden?

Müller: Ja, bisher einmal, weil es uns ja noch nicht lange gibt. Aber es ist klar und verbindlich festgeschrieben. Wir wählen aber auch unsere Studierenden sehr genau aus. Ein Drittel der Bewerber fallen durch das dreistufige Auswahlverfahren, bestehend aus Multiple Choice Test, Assessment Center und Einzelgespräch. Ich habe mit Studienvertretern der MUW gesprochen, die haben mir bestätigt, dass das Auswahlverfahren der SFU wesentlich schwieriger ist als jenes der MUW. Die SFU hat derzeit 400 Studierende der Medizin, pro Jahrgang kommen 200 dazu. Drei Viertel davon sind österreichische Staatsbürger.

Bleibt der finanzielle Numerus clausus …

Müller: Ja, das Prinzip widerstrebt mir selbst auch. Ich halte daher den – eigentlich gar nicht so neuen – Vorschlag eines Bildungschecks für durchaus sinnvoll: Jeder, der Medizin studiert, bekommt vom Staat eine gewisse Summe an Ausbildungsgeld zuerkannt und entscheidet dann für sich, wo er hingeht.

Gnant: Aber die Realität sieht doch ganz anders aus: „Die Reichen sollen auf die Privatunis gehen, die armen, talentierten Studierenden werden dafür vom öffentlichen System aufgefangen“ – das ist ein Zitat des Vorsitzenden der Privatuniversitätenkonferenz.

Apropos Finanzierung: Woher kommt das Geld für die Budgets der Privatunis?

Müller: In erster Linie aus den Beiträgen der Studierenden. An der SFU zahlen sie jährlich 22.000 Euro. Bei derzeit 400 Studierenden ergibt sich daraus eine Summe von 8,8 Millionen Euro. Damit lässt sich wohl ein Universitätsbetrieb finanzieren. Ob und wie viele Sponsoren es zusätzlich gibt, weiß ich ad hoc nicht.

Gnant: Den Betrieb einer Privathochschule kann man vielleicht finanzieren, dieser findet in der Realität aber in steuerfinanzierten Gebäuden und Einrichtungen statt. Eine Universität lässt sich niemals allein aus Studiengebühren finanzieren. Sonst würde die MUW nicht ein Jahresbudget von 300 Millionen Euro benötigen. Wir verschwenden ja auch nicht im großen Stil. In Wahrheit wissen wir es einfach nicht, wie etwa die SFU finanziert wird. Und weil das so ist, halte ich es für doppelbödig zu sagen, wir sind ausschließlich studiengebühren- und sponsorenfinanziert, solange offensichtlich Gebietskörperschaften dahinter stehen und öffentlich mitfinanzieren.

Müller: Das Privatuniversitätsgesetz untersagt ganz klar Zuschüsse des Bundes. Die SFU erhält keine Bundes- oder Landesmittel. Das neue Forschungsklinikum in Wien wird mit EU-Geldern finanziert, da fließen ebenfalls keine heimischen Budgetmittel hinein. Ich bin in gleicher Weise sehr dafür, dass man alle Kosten offenlegt. Ich wüsste selbst sehr gerne, wie viel die Ausbildung eines Medizin­studierenden an der öffentlichen Uni und an der SFU tatsächlich kostet. Wenn die kolportierten Summen von 50.000–60.000 gegen 22.000 Euro tatsächlich stimmen, dann ist das ein zusätzlicher Grund, warum ich behaupte, dass eine engagiert geführte Privat­universität, und ich spreche jetzt für die SFU, weil ich mich da gut auskenne, extrem erfrischend im akademischen Wettstreit ist. Wettbewerb ist gesund.

Gnant: Wir scheuen den Wettbewerb nicht. Ich will auch heraus aus der Rolle des böswilligen Kläffers, der anderen akademisches Engagement madig machen will. Ich fordere dafür aber einen ernsthaften Dialog über folgende Fragen: Wohin gehen die öffentlichen Mittel im tertiären Sektor, und wie vermeiden wir die Diversion unter dem von mir behaupteten Etikettenschwindel?

Danke für das Gespräch!

Die Diskutanten am CliniCum-Roundtable:

Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie an der Medizinischen Universität Wien, Vorsitzender des Senats der Medizinischen Universität Wien
Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Rolf Müller, Vorstand der Abteilung für Thoraxchirurgie am Otto-Wagner-Spital in Wien, Ordinarius für Thoraxchirurgie an der Sigmund Freud Universität