17. Mai 2017

Transidentität: Der lange Weg zum richtigen Körper

Menschen mit dem falschen biologischen Geschlecht müssen viele Therapien durchlaufen. Im Transgender Center Innsbruck koordinieren – einmalig in Österreich – acht Fachbereiche ihre Angebote. (Medical Tribune 20/2017) 

Experten unter sich (v.l.n.r.): Gabriel Djedovic, Barbara Sperner-Unterweger, Bettina Toth, Markus Rungger und Martin Fuchs.
Experten unter sich (v.l.n.r.): Gabriel Djedovic, Barbara Sperner-Unterweger, Bettina Toth, Markus Rungger und Martin Fuchs.

„Sehr häufig ist es so, dass sich trans­idente Patienten alleine gelassen fühlen, ihnen fehlt ein definitiver Ansprechpartner“, sagt Dr. Gabriel Djedovic, Oberarzt an der Innsbrucker Uniklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie. Fehlende Ansprechpartner, das verbreitete Tabu, das biologische Geschlecht wechseln zu wollen, führen zu bizarren und gefährlichen Folgen: Informationsquellen sind das Internet und dort etablierte Chatrooms. Hohe Frustrationsraten und Depressionen sind bei den Betroffenen oft die Folge, mit der Konsequenz einer regelrechten „Flucht ins Ausland“ – wie es Djedovic formuliert –, wo schlecht vorbereitete Operationen zu bisweilen katastrophalen Ergebnissen führen.

Unter diesen Vorgaben ist an der Uniklinik Innsbruck vor zwei Jahren das „Transgender Center Innsbruck – TGCI“ entstanden, in dem sich acht Fachbereiche in regelmäßigen Boards zusammensetzen: „Wir wollten eine zentrale Anlaufstelle für die Patienten schaffen, wo diese vom Erstkontakt über Diagnose, Therapie und bis zur lebenslangen Nachbetreuung Ansprechpartner finden“, erläutert Djedovic. Die acht Fachbereiche sind die Universitätskliniken für Gynäkologie und Geburtshilfe,  Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Hör-, Stimm- und Sprachstörungen, Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Psychiatrie II, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter, Urologie sowie die Rechtsabteilung der Tirol Kliniken.

Transpersonen müssen ohne Pathologisierung wahrgenommen werden

Betroffene, die für sich zum Schluss gekommen sind, „im falschen Körper geboren zu sein“, bevorzugen den Begriff „transident“, im Diskurs bekannter sind „transgender“ und „transsexuell“. Univ.-Prof.in Dr. Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Univ.-Klinik für Psychiatrie II, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es gelte, Transpersonen ohne Pathologisierung wahrzunehmen. „Die Transperson steht dabei in ihrer subjektiven Wahrnehmung im Mittelpunkt, die Diagnose liegt immer bei den Betroffenen selbst“, betont Sperner-Unterweger.

In der sexualmedizinischen Sprechstunde ihrer Klinik werden daher Betroffene psychologisch/psychiatrisch im gesamten Prozess, beginnend beim Erstgespräch über Begleitung während einer Hormonbehandlung, vor und nach einer Operation unterstützt. Dabei wird auch mit externen Psychiatern und Psychotherapeuten zusammengearbeitet, sagt Sperner-Unterweger. Univ.-Prof.in Dr. Bettina Toth, Direktorin der Univ.-Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, hebt hervor, dass Transidentitäten kein Phänomen neuerer Zeit sind, sondern schon bei Ovid beschrieben werden. Die durchgeführten Hormontherapien sind individuell abgestimmt, dabei sind individuelle Risikofaktoren, Komorbiditäten und häufig auftretende Depressionen zu beobachten. Toth: „Wir überblicken mittlerweile 100 Patienten, die wir betreuen, und sind im deutschsprachigen Raum sicher führend, was die Erfahrung und die Langzeitbetreuung betrifft.“

Eine auf den ersten Blick überraschend große Rolle kommt der Uniklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen zu. Deren stellvertretender Direktor Dr. Markus Rungger erläutert, dass es für Trans*personen „sehr wichtig ist, dass ihre Stimme auch dem gefühlten Geschlecht angeglichen wird“. Bei „Frau zu Mann“ kommt es durch die hormonelle Therapie zu einer Veränderung im Stimmapparat und einer Vergrößerung der Stimmmuskeln und dadurch zu einer Senkung der Stimmlage. Komplexer ist der umgekehrte Fall. Logotherapie hilft, die tiefere männliche Stimmführung in eine höhere weibliche überzuführen. Oft reicht das nicht aus, dann wird eine stimmerhöhende Operation (Glottoplastik nach Wendler) angeboten: „Dabei wird der schwingende Anteil der Stimmlippen verkürzt, es wird im vorderen Teil der Stimmlippen die Schleimhaut abgetragen, es kommt zu einem Verwachsen im vorderen Bereich und dadurch wird die Stimmlage erhöht“, erklärt Rungger. Auf Wunsch der Patienten kann auch der typisch männliche Kehlkopf durch Entfernung von zwei Knorpelstreifen verkleinert werden.

Kassen zahlen Operation

Den operativen Part bestreiten plastische Chirurgie, Urologie und Gynäkologie gemeinsam. Dieser letzte Teilschritt erfolgt nach einer mindestens einjährigen Hormonbehandlung. Bei der Frau-zu-Mann-Anpassung wird ein neuer Penis mit Gewerbe vom Unterarm oder Oberschenkel geformt. Brustgewebe, Eierstöcke und Gebärmutter werden entfernt, erklärt Djedovic. Im umgekehrten Fall werden Penis und Hoden entfernt und eine Vagina geformt, meist durch Entfernen des Schwellgewebes des Penis und anschließendes Einbringen der Penishaut. Angeboten werden eine Brustvergrößerung (meist mit Silikonimplantaten) und eine plastisch-chirurgische Feminisierung des Gesichtes.

Vor jeder Operation erfolgt eine Kostenanfrage bei der jeweiligen Krankenkasse, in der Regel werden alle Kosten übernommen, ausgenommen Gesichtsoperationen. Derzeit werden in Innsbruck fünf bis zehn Operationen jährlich durchgeführt, wobei zwei bis drei Mal häufiger die Anpassung Mann-zu-Frau vorkommt, als umgekehrt. Eine schlüssige Erklärung, warum das so ist, gibt es nicht. Experten gehen davon aus, dass von 50.000 Personen eine „im falschen Körper geboren wird“. Altersmäßige Häufungen gibt es in der Behandlung keine, bei den hormonellen Behandlungen reicht derzeit die Spanne von „Jugendlichen bis zu einer Patientin um die 70“, sagt Toth.

Jugend experimentiert

Speziell ist die Situation bei Jugendlichen, weshalb auch die Univ.-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter im TGCI vertreten ist. Deren stellvertretender Direktor Dr. Martin Fuchs berichtet von einer „gar nicht so kleinen Gruppe von Kindern, die Unsicherheit bezüglich ihres Geschlechtes verspüren und mit anderen Geschlechterrollen experimentieren“. Mit Einsetzen der Pubertät sinkt die Zahl der Jugendlichen mit manifester Geschlechtsdysphorie deutlich. „Wir klären dann diagnostisch ab, vermitteln in Psychotherapie, um zu überprüfen, ob Indikation zur Behandlung besteht“, sagt Fuchs.

In der Behandlung sind internationale Richtlinien zu beachten, die zunächst nur sogenannte Hormonblocker zulassen. „Das ist eine Blockade der körpereigenen Sexualhormone, die uns ein Zeitfenster ermöglichen, in dem die Jugendlichen im anderen Gender experimentieren können.“ Diese Behandlung ist vollständig reversibel. Im Unterschied zum Erwachsenenalter sind es bei den Jugendlichen vier Mal mehr Mädchen als Burschen, die mit der jeweils anderen Geschlechterrolle experimentieren.

Ab dem 16. Lebensjahr ist die Behandlung mit gegengeschlechtlichen Sexualhormonen erlaubt, eingebettet in eine interdisziplinäre Betreuung durch Kinder- und Jugendpsychiatrie, Gynäkologische Endokrinologie und Kinderheilkunde. Derzeit sind 35 Kinder und Jugendliche mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie wegen einer Geschlechtsangleichung in Kontakt. Chirurgische Behandlungen sind gesetzlich frühestens mit Vollendung des 18. Lebensjahres zulässig.

Info
Transgendersprechstunde der Gynäkologischen Endokrinologie: Terminverein­barung unter +43 50 504-23068.
Sexualmedizinische Ambulanz der Psychiatrie II: Terminvereinbarung unter +43 50 504-23701.
Transgendersprechstunde der Kinder- und Jugendpsychiatrie: Terminverein­barung unter +43 50 504-23502.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune