Ärzte in der Impf-Pflicht?

Sie sollten sich selbst und ihre Patienten vor Ansteckung schützen, zur Herdenimmunität beitragen und nicht ­zuletzt Vorbild sein. Trotzdem sind Ärzte erschreckend schlecht durchgeimpft. Das ruft Kritiker auf den Plan. (Medical Tribune 9/2017)

Echte Impfgegner sind unter Medizinern selten. Trotzdem sind die Durchimpfungsraten bei Ärzten und anderen Gesundheitsberufen alarmierend gering. Das ruft eine Diskussion um Pflichtimpfungen für medizinisches Personal auf den Plan.
Echte Impfgegner sind unter Medizinern selten. Trotzdem sind die Durchimpfungsraten bei Ärzten und anderen Gesundheitsberufen alarmierend gering. Das ruft eine Diskussion um Pflichtimpfungen für medizinisches Personal auf den Plan.

Nachdem sich die Masernfälle in Österreich seit Jahresbeginn häuften, forderte der steirische Ärztekammer-Präsident Dr. Herwig Lindner lückenlosen Impfschutz für Spitalsangestellte und Mitarbeiter anderer Gesundheitseinrichtungen. „Es ist geradezu absurd, dass beispielsweise Kinderärzte heute immer noch nicht geimpft sind“, kritisiert auch die Wiener Labormedizinerin Univ.-Prof. Dr. Ursula Köller. Ihrer Meinung nach müsste man über Pflichtimpfungen in einigen Bereichen diskutieren. Bei Beschäftigten im Gesundheitswesen sollte eine entsprechende Verpflichtung aus ihrer Sicht gar gänzlich außer Streit stehen.

USA als Vorbild

Tut sie aber nicht, im Gegenteil: Die Durchimpfungsraten sind erschreckend gering. Im Gegensatz zu US-Spitälern, wo die Impfgewohnheiten der Mitarbeiter jährlich erhoben werden, fehlen in Österreich offizielle Zahlen. Die Schätzungen, die hinter vorgehaltener Hand kursieren, sind allerdings alarmierend. Während es in den USA undenkbar wäre, dass Ärzte und Pflegepersonal nicht gegen Grippe oder Meningokokken geimpft sind, haben hierzulande laut Experten bestenfalls 25 Prozent des Spitalpersonals einen aufrechten Impfschutz. Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, spricht bei Influenza von gar nur 15 bis 20 Prozent.

Zum Vergleich: In den USA liege die Influenza-Durchimpfungsrate unter Ärzten bei 96 Prozent, beim Pflegepersonal bei knapp 69 Prozent und im Schnitt aller im Gesundheitswesen Tätigen bei 72 Prozent. Dem stehen in der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten Werte unter 40 Prozent gegenüber. Kollaritsch will Ärzte und Pflegepersonal in die Pflicht nehmen. Daten belegen, dass etwas mehr als 20 Prozent des Gesundheitspersonals pro Grippe-Saison eine Serokonversion durchmachen. Auch wenn ein Großteil davon einen subklinischen Verlauf nimmt, spielen sie für die Übertragung der Erreger eine entscheidende Rolle.

„Im Gesundheitswesen Tätige haben einen relevanten Anteil daran, dass die jährliche Influenza-Epidemie propagiert wird“, hielt Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, erst kürzlich in einem DFP-Beitrag in der ÖÄZ fest. Köller, die auch als Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Impfen“ der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes agiert, zitiert in dem Zusammenhang eine Studie aus Frankreich1, die zeigt, dass eine Influenza-Impfung des Pflegepersonals „die Sterberate der Senioren um etwa 20 Prozent reduziert und die Krankenstände beim Personal um 42 Prozent senkt“. Aus dem Nicht-Schadens-Prinzip leitet die Ethikkommission in ihren 2015 veröffentlichten Empfehlungen daher für Ärzte und andere Gesundheitsberufe sogar eine ethische Verpflichtung zur Impfung ab. Der schließt sich auch die Ärztekammer an.

Die Masern-Bilanz fällt für die Gesundheitsberufe ähnlich ernüchternd aus wie die Influenza-Impfquote. Von 309 österreichweit klinisch dokumentierten Masernfällen im Jahr 2015 gingen über sieben Prozent auf das Konto der Gesundheitsberufe. Köller verweist darauf, dass Übertragungen von Infektionen durch Krankenhauspersonal auch für Mumps, Röteln, Varizellen, Pertussis, Hepatitis A und B sowie Meningokokken bekannt seien.

Nicht nur bei den Durchimpfungsraten erweisen sich die Angehörigen der Gesundheitsberufe als ganz normale Durchschnittsmenschen. Selbst in ihrer Argumentation unterscheiden sie sich kaum von ihren Patienten, wie eine deutsche Umfrage aus dem Vorjahr belegt2: Angst vor Nebenwirkungen, die Befürchtung, durch die Impfung erst recht krank zu werden sowie der Glaube, selbst nicht zu erkranken, werden von Pflegepersonal und Therapeuten in Bezug auf die Influenza-Impfung ins Treffen geführt. Bei Ärzten dominieren organisatorische Gründe wie Zeitmangel oder die Angabe, man habe schlicht darauf vergessen.

Wirkliche Impfgegner machen nur einen verschwindend geringen Anteil an der Ärzteschaft aus, versuchen sich aber immer wieder medial Gehör zu verschaffen. So trat vor zwei Wochen die Initiative „Aerzte gegen Impfzwang“, kurz AEGIZ, mit einer Presseaussendung an die Öffentlichkeit. Dahinter stand der Verein AEGIS (Aktives Eigenes Gesundes Immun System), der seinen Namen passend zur aktuellen Diskussion kurzerhand geändert hatte. Der einzige Mediziner, der dahinter auszumachen war, ist der bekannte Impfgegner Dr. Johann Loibner, der in der Vergangenheit von der Ärztekammer zwischendurch sogar mit einem Berufsverbot belegt worden war. Auf Nachfrage von MT gab Loibner an, dass die restlichen „mindestens 30 Ärzte“, die hinter ihm stünden, sich aus Angst vor einem Berufsverbot nicht öffentlich äußern würden.

Schwierige Rechtslage

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Impfpflicht sind jedenfalls schwierig. Als medizinische Behandlung gegen den Willen des Patienten würde eine verpflichtende Impfung laut Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention einen Eingriff in das Recht auf Privatleben darstellen. Das bestätigt auch die Ärztekammer in einer Stellungnahme. Unter bestimmten Voraussetzungen darf freilich sehr wohl eingegriffen werden – eine Bezirksverwaltungsbehörde kann etwa im Rahmen des Epidemiegesetzes Schutzimpfungen anordnen. Das sei aber nur möglich, wenn die Gefährdung des Kollektivs als sehr hoch eingestuft werde, so die Ärztekammer.

Im Normalfall müssen Arbeitnehmer aber nicht einmal Auskunft über ihren Impfstatus geben. Selbst wenn sie im Spitalsbetrieb für die Arbeit mit Patienten mit besonders hoher Infektionsgefährdung vorgesehen sind, können Ärzte oder Pfleger eine Auskunft verweigern, dann allerdings versetzt werden. Denn bei besonders vulnerablen Patientengruppen gibt es sogar eine juristische Verpflichtung, nur geimpftes Personal einzusetzen.

Kliniken in der Bredouille

Generell wäre die Verantwortung des Krankenanstaltenträgers, dass das Personal möglichst durchgeimpft ist, wie Experten betonen. Dies, zumal auch Fürsorgepflicht im Sinn des Arbeitnehmerschutzes besteht. Ein möglichst niederschwelliges Angebot während der Dienstzeit wäre hilfreich. „Wir sind verpflichtet, Mitarbeiter vor arbeitsplatzbezogenen Erkrankungsrisiken zu schützen. Dies kann durch das Angebot von Schutzimpfungen oder durch Versetzung in weniger gefährliche Tätigkeitsbereiche gewährleistet werden“, heißt es aus dem Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV). Dieser sei bemüht, dass möglichst viele Mitarbeiter geimpft sind, verweist aber auch darauf, dass Impfungen in Österreich eben nur auf freiwilliger Basis erfolgen dürfen. Daten sind auch im KAV Mangelware: „Zur Durchimpfungsrate haben wir leider keine konkreten Zahlen.“

 

Referenzen:
1 Lemaitre M et al., J Am Geriatr Soc 2009
2 Epidemiologisches Bulletin Nr. 47, 28. November 2016

 

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune