Kassen, Kammern, Schuldzuweisungen

Zwischen 1945 und 1955 wurde ein öffentliches Gesundheitssystem für alle Österreicher verhandelt. Weil es in der Logik der Gewerkschaften undenkbar war, dass ein Arbeiter in der gleichen Krankenkasse wie ein Unternehmer ist und dieser im Krankheitsfall vom Geld der Arbeiter behandelt wird, war rasch klar, dass das ein lustiges Puzzle werden würde.
Heraus kam das System der Pflichtversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, dem Freiberuflich Selbstständigen-Sozialversicherungsgesetz und dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG). Beibehalten wurden zudem Betriebskrankenkassen, v.a. für große staatliche oder halbstaatliche Unternehmen, und Krankenfürsorgeanstalten für Bedienstete vieler Gemeinden und Städte. Das heillose Durcheinander war geboren.
Und weil neben der Pflichtversicherung auch Ordinationen einer verpflichtenden Planwirtschaft unterworfen wurden (genannt Gesamtvertrag), sind bis heute Ärztekammern und in der Krankenversorgung aktive Sozialinstitutionen (nicht nur Krankenkassen) wie siamesische Zwillinge aneinander gebunden – und kommen kaum von der Stelle.
Die Folge ist ein lang bekannter, riesiger Reformstau. 1969 (!) hat die WHO festgehalten, dass es „die steigende Tendenz der praktizierenden Ärzte gibt, ihre Patienten in ein Spital einzuweisen – diese Tendenz wird unter anderem durch das Honorierungssystem gefördert“. Seitdem gab es viele Versuche, etwas zu ändern – alleine, es passierte nie!

Probleme haben Tradition

Aber warum? Hört man sich um, meint man, die Probleme um die völlig veralteten Kassenhonorarkataloge mit ihren hunderten Einzelleistungen, die oft nicht einmal mehr kostendeckend honoriert werden, seien die Erfindung der Kassen.
Dem ist aber nicht so. Denn das alles wird seit über 60 Jahren von zwei (Monopol-)Verhandlungspartnern verhandelt, die seither auch jedes Verhandlungsergebnis unterschrieben haben. Die rechtliche Grundlage zwingt BEIDE zusammen, also können auch nur die BEIDEN etwas ändern. Warum nur wurde nicht ein sinnvolles Honorarsystem entwickelt? Weil wirklich nur EINER der beiden schuld daran ist?

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune