Retschitzegger: Jahresziel? Hören und sehen!

Weil es gerade kalt ist, beginne ich die erste Kolumne des Jahres mit warmen Urlaubsgedanken. Zurückblickend – um nach vorne ins neue Jahr zu blicken! Sprachurlaub auf einer griechischen Insel, gemeinsam mit KollegInnen des Sprachkurses und unserem großartigen Lehrer. Neben dem Erlernen der Sprache, dem Kennenlernen von Kultur, Menschen und Stränden auch eine Wanderung. Und einer von uns – nennen wir ihn P. – ist seit vielen Jahren nahezu vollständig blind. Waren Sie schon einmal mit jemandem wandern, der den Weg nicht sieht, diesen aber mithilfe seines Blindenstockes geht – und das praktisch gleich schnell wie wir? Wenn möglich, sollten Sie das einmal tun – Sie werden staunen, es gibt viel zu erkennen, zu lernen, zu sehen.

Ist uns bewusst, wie kostbar unsere Sinne sind, welche Schätze wir da in uns tragen? Sehen und hören. Genau hinschauen. Zum Beispiel den Menschen, den wir gerade behandeln, genau ansehen! Was ist das für ein Mensch, wie ist sein Gesichtsausdruck, was sehen wir – wie geht es ihm? Und was erzählt er uns, was bewegt ihn? Hören wir ihn? Ich meine – hören wir ihn wirklich, hören wir zu? Oder haben wir ohnehin schon unsere Antworten bereit, wissen wir schon vorher, was wir sagen und empfehlen werden?

Den Denkanstoß zum Sehen fand ich in der Süddeutschen Zeitung. Juan Ruiz stammt aus Mexiko, ist in Los Angeles aufgewachsen, lebt nun in Wien – und ist seit seiner Geburt blind. Juan Ruiz ist Mobilitätstrainer für blinde Menschen – und jettet dafür durch die ganze Welt. Gerade war er in Berlin, dann Thailand, Kanada – um auch dort Blindentrainer zu trainieren! Und da dachte ich mir: Beachten wir unsere „BlindentrainerInnen“ ausreichend – diejenigen Menschen, welche uns das Sehen lehren? Und wäre dies nicht ein schöner Vorsatz für das neue Jahr: wirklich zu sehen und zu hören! Den Menschen, die wir behandeln und betreuen, zuzusehen und zuzuhören. Auch wenn sie manchmal vielleicht etwas langsamer sind – oder nicht ganz leicht zu verstehen. Oder demenzkrank sind – hören wir sie trotz ihrer Erkrankung? Wir sollten das auf jeden Fall tun! Denn wer weiß, wann uns Hören und Sehen vergeht?

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune