4. Mai 2022Produktivität von RA-Patienten sinkt bereits im Jahr vor der Diagnose

Jobkiller Rheuma

Rheumatische Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis und axiale Spondyloarthritis haben oft massiven Einfluss auf die Erwerbstätigkeit. Das genaue Ausmaß und die Frage, ob eine DMARD-Therapie auch in diesem Punkt Verbesserung bringt, war bislang ungeklärt. Mehrere Forscherteams sind diesen Themen nachgegangen.

Junge Geschäftsmann trägt trauriges Gesicht
iStock/RichVintage

Wie häufig eine axiale Spondyloarthritis (axSpA) bei Patienten zu Präsentismus, Krankmeldungen, Arbeitslosigkeit oder Frühpensionierung führt, untersuchten PD Dr. Uta Kiltz vom Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne und Kollegen mithilfe einer deutschlandweiten Beobachtungsstudie. Sie werteten dabei 695 erwachsene Patienten aus, die von November 2019 bis Juli 2020 die Diagnose einer axSpA erhielten. Neben klinischen und demografischen Daten flossen auch Ergebnisse aus standardisierten Fragebogen zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit in die Untersuchung mit ein.

590 (84,9%) Patienten gingen einer bezahlten Tätigkeit nach (65,9% in Vollzeit), die restlichen Patienten waren arbeitslos oder in Frühpension. Von den 590 Beschäftigten erlebten nur 41% ihre Erkrankung nicht als Hemmnis. Ungeachtet etwaiger Einschränkungen hatten sich 64,2% aller Arbeitenden in den vergangenen zwölf Monaten krankschreiben lassen (351 Patienten < 3 Monate, 17 Patienten 3–6 Monate, 11 > 6 Monate). Präsentismus, also eine geringere Produktivität trotz Anwesenheit am Arbeitsplatz, gaben 84,1% aller Beschäftigten an. Diejenigen, die sich körperlich beeinträchtigt fühlten, litten häufiger an Fatigue, Morgensteifigkeit und körperlichen Funktionseinschränkungen. Sie waren in der Mehrzahl weiblich und hatten einen niedrigeren Bildungsabschluss. Keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gab es hinsichtlich BMI, Krankheitsdauer und Häufigkeit einer Biologikatherapie. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass trotz zahlreicher therapeutischer Möglichkeiten die axSpA noch immer einen substanziellen Einfluss auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Betroffenen hat.

Bereits bei der Jobsuche gibt es oft Schwierigkeiten

Doch ist nicht nur die Arbeitsfähigkeit von axSpA-Patienten eingeschränkt. Schon die Jobsuche gestaltet sich schwieriger, wie Prof. Dr. Marco Garrido-Cumbrera, Universität Sevilla, und Kollegen herausgefunden haben. Sie analysierten die Daten von 2.846 axSpA-Patienten aus der europaweiten EMAS*-Untersuchung. Drei von vier Befragten gaben an, bei der Jobsuche Schwierigkeiten gehabt zu haben oder zukünftig zu befürchten. Im Vergleich zu den Teilnehmern ohne derartige Probleme waren sie häufiger geschieden oder getrennt und hatten seltener einen Universitätsabschluss. Zudem litten sie vermehrt an Übergewicht und benötigten öfter Anpassungen für ihr Auto sowie spezielles Schuhwerk. Bei ihnen war die Krankheit später erkannt worden und die Krankheitsaktivität höher, sie hatten stärkere funktionelle Einbußen und eine ausgeprägtere Morgensteifigkeit.

Außerdem waren Personen in dieser Subgruppe ängstlicher, depressiver und klagten in größerem Ausmaß über Schlafstörungen. Hinderlich bei der Jobsuche waren laut Regressionsanalyse zum einen qualitative Aspekte, darunter Schwierigkeiten bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (OR = 2,22) und eine fehlende akademische Ausbildung (OR = 0,53). Zum anderen kristallisierten sich auch quantitative Faktoren heraus, z.B. Krankheitsaktivität (OR = 1,18), Steifigkeit der Wirbelsäule (OR = 1,13), schlechtere mentale Gesundheit (OR = 1,09) und körperliche Funktionseinschränkungen (OR = 1,04).

Erhebliche Schwierigkeiten im Arbeitsleben haben auch Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA). Und das sogar oftmals schon lange bevor die Diagnose steht, wie Cleo Rogier vom Erasmus Universitiy Medical Center Rotterdam und Kollegen berichteten. Für eine Studie rekrutierten sie 817 Patienten und teilten sie in drei Gruppen ein: 143 dieser Patienten litten an Arthralgien, die sich im Verlauf von zwei Jahren als RA entpuppten (Gruppe 1). 617 Studienteilnehmer hatten RA nachgewiesenermaßen im Frühstadium (Gruppe 2). Bei 57 Personen handelte es sich um Arthralgiepatienten, deren Symptome spontan sistierten und die keine RA entwickelten (Gruppe 3).

Neben klinischen und demografischen Daten erhoben die Forscher Angaben zu krankheitsbedingter Abwesenheit sowie reduzierter Produktivität oder Arbeitszeit. Außerdem füllten die Studienteilnehmer zwei standardisierte Fragebogen aus, in denen es um ihre Arbeitsfähigkeit ging.

Zu Beginn der Untersuchung war in allen drei Gruppen ein Großteil der Patienten in Lohn und Brot (72 %, 47 % bzw. 88 %). Doch sank die Produktivität der Prä-Arthritis-Patienten bereits im Jahr vor der RA-Diagnose um 36 % und erreichte schließlich das Niveau der RA-Patienten von 50 % zum Zeitpunkt der Diagnosestellung. Krankheitsbedingt meldeten sich im selben Zeitraum 28 % von ihnen arbeitsunfähig.

Zum Zeitpunkt der Diagnose der rheumatoiden Arthritis hatte ihr Krankenstand mit dem der RA-Patienten gleichgezogen. Nach Therapiebeginn jedoch verbesserten sich in Gruppe 1 sowohl Produktivität als auch Krankenstand – beides hochsignifikant. Trotzdem sank im weiteren Verlauf die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden signifikant. In Gruppe 3 hingegen besserte sich nach Sistieren der Schmerzen die Produktivität. Wie diese Auswertungen zeigen, ist die Arbeitsfähigkeit von Arthralgiepatienten schon im Vorfeld der RA-Diagnose ähnlich stark beeinträchtigt wie die von Betroffenen im Frühstadium.

DMARD könnten ggf. die Arbeitsfähigkeit verbessern

Wichtig sei es deshalb, so die Autoren, Patienten bereits in der prä-arthritischen Phase zu identifizieren, um sie behandeln und einem potenziellen Verlust der Arbeitsfähigkeit vorbeugen zu können.

Eine weitere Forschergruppe widmete sich der Frage, ob eine frühzeitige Therapie mit bDMARD oder tsDMARD die Arbeitsfähigkeit von RA-Patienten verbessert. Mary Lucy Marquesvom Leiden University Medical Center und Kollegen wählten für ihre Metaanalyse neun thematisch passende randomisierte, kontrollierte Studien aus.

Bei den geprüften Wirkstoffen handelte es sich um vier verschiedene bDMARD (Abatacept, Adalimumab, Etanercept, Infliximab) und das tsDMARD Baricitinib. Aktiver Vergleichswirkstoff war jeweils MTX (mono oder kombiniert). Als Kriterien dienten Krankmeldungen, Beschäftigungsstatus und/oder Produktivitätsminderung während der Anwesenheit am Arbeitsplatz (Präsentismus).

Bei der Auswertung zeigte sich bezüglich Krankenstand und Präsentismus ein leichter, teils sogar signifikanter Vorteil der bDMARD- oder tsDMARD-Therapie gegenüber MTX. Drei der neun Studien erhoben zudem den Beschäftigtenstatus auf längere Sicht (56 bis 104 Wochen): Den gepoolten Daten nach war das Risiko für einen Jobverlust unter der Kombination MTX plus bDMARD geringer als unter MTX plus Placebo.

Eindeutige Aussagen seien aufgrund der Heterogenität der Studien nicht möglich, so die Autoren. Ob der frühe Einsatz von bDMARD und tsDMARD Präsentismus und Krankenstand von RA-Patienten tatsächlich bessern kann, müssen zukünftig entsprechend konzipierte Studien zeigen.

* European Map of Axial Spondyloarthritis

ACR (American College of Rheumatology) Convergence 2021

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune