15. Sep. 2021Covid-19 Update 15.09.2021

Booster gemeinsam mit Grippeimpfung möglich; mehr schwere Verläufe durch Autoantikörper

+++ "Schönes" Virus als weniger ansteckend empfunden – Bestimmte Antikörper verursachen große Zahl schwerer Verläufe – Experten: Auffrischungsimpfung für alle nicht notwendig – Studie: UK: Booster gemeinsam mit Grippeimpfung ist sicher – WHO fordert mehr Gerechtigkeit bei Impfstoff-Verteilung – Patientenanwälte für Impfpflicht bei Gesundheit und Lehrern +++

Coronavirus Warnung
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Studie: "Schönes" Virus als weniger ansteckend empfunden

Je ansprechender eine bildliche Darstellung des Coronavirus ausfällt, desto weniger furchteinflößend und ansteckend wird der Erreger empfunden. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie von Wissenschaftern der Autonomen Universität von Barcelona (https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0253738). Hingegen wird das Virus als ansteckender empfunden, wenn es als Schwarz-Weiß-Foto abgebildet wird, schreiben die Forscher im Wissenschaftsmagazin "Plos One".

Für ihre Untersuchung werteten die Wissenschafter umfangreiche Fragebögen aus, die die 333 anonymen Teilnehmer online zwischen April und Mai 2020 ausfüllten. Es beteiligten sich in etwa gleich viele Frauen wie Männer, und die meisten von ihnen hatten eine akademische Ausbildung.

Der Studie zufolge wurden seit Beginn der Pandemie vor allem stark bearbeitete und kolorierte Fotos sowie dreidimensionale Illustrationen des Coronavirus in den Medien wahrgenommen, die die Teilnehmer als "schön" empfunden hätten. Zugleich sei solchen Darstellungen jedoch kaum ein wissenschaftlicher Wert beigemessen worden und das Virus sei als weniger ansteckend und gefährlich eingeschätzt worden.

Echte Fotos des Virus, die nur mit einem Elektronenmikroskop möglich sind, seien anders als die "schönen" Abbildungen schwarz-weiß und zweidimensional. Diese seien von den Befragten aber als wissenschaftlicher eingeschätzt worden. Dem Coronavirus sei auch eine höhere Ansteckungsgefahr beigemessen worden.

Die Autoren plädieren wegen dieser Ergebnisse dafür, angesichts der negativen Korrelation zwischen Schönheit und Wissenschaft die Art der Darstellung gefährlicher Viren durch die Wissenschaft und die Medien zu überdenken. Dies scheine aufgrund der Bedeutung der Bürger und ihrer Reaktion für die Bekämpfung einer Pandemie von hoher Wichtigkeit zu sein. (APA/dpa)

Bestimmte Antikörper verursachen große Zahl schwerer Verläufe

Das weltweit größte Covid-Forschungskonsortium, das Covid human genetic effort (COVIDhge), hat gezeigt, dass bestimmte Autoantikörper für eine größere Anzahl schwerer Covid-19-Verläufe verantwortlich sind als bisher angenommen. Mehr als zehn Prozent der untersuchten schweren Fälle wiesen fehlgeleitete Antikörper auf, die nicht das Virus, sondern das Immunsystem attackierten, so Ivan Tancevski, Lungenfacharzt an der Universitätsklinik für Innere Medizin II, im APA-Interview.

Tancevski ist seit Herbst 2020 einer von rund 120 internationalen Experten, die sich im Rahmen des COVIDhge-Konsortiums wöchentlich über den aktuellen Forschungsstand austauschen. Der Forschungsverbund, der vom preisgekrönten Jean-Laurent Casanova von der Rockefeller University in New York geleitet wird, treibt derzeit rund 15 Projekte voran, berichtete Tancevski. Unter anderem suchen die Experten nach genetischen Ursachen für schwere Verläufe.

Im Oktober 2020 habe Konsortiumsleiter Casanova entdeckt, dass manche schwer an Corona erkrankte Menschen bestimmte Autoantikörper besitzen, die die Immunantwort negativ beeinflussten, so der Lungenfacharzt. In den neuesten Untersuchungen des COVIDhge zeigte sich, dass dies vor allem bei Menschen über 70 und Männern der Fall sei. "Womöglich eine Teilerklärung, warum diese Personengruppen häufiger schwerer erkranken", schlussfolgerte Tancevski.

Diese Autoantikörper, die laut dem Experten rund 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung in sich tragen, blockieren Interferone im Körper, die beim Schutz gegen Viren beteiligt sind. "Interferone werden von bestimmten Zellen in der Lunge auf Virusreize hin produziert. Sie greifen nicht direkt das Virus an, sondern geben Signale an andere Lungenzellen ab, sodass diese eine Vermehrung und Übertragung des Virus verhindern", erläuterte Tancevski. Bei Patienten mit Antikörpern gegen Interferone funktioniere das Immunsystem also nicht mehr richtig, auch sei deren Interferonspiegel während der akuten Erkrankung deutlich erniedrigt gewesen, so Tancevski weiter.

Über 1.000 Proben Schwererkrankter aus der ganzen Welt wurden im Zuge dieser Studie untersucht, die Kontrollgruppe umfasste 35.000 gesunde Personen. "Über 20 Prozent der Über-80-Jährigen wiesen besagte Autoantikörper auf", zitierte Tancevski die Ergebnisse. Die Studie laufe weiter, bald sollen auch rund 200 Blutproben aus Innsbruck mitberücksichtigt werden, die kürzlich übermittelt wurden.

Die neuen Erkenntnisse hätten Auswirkungen sowohl auf die klinische Therapie schwer erkrankter Corona-Patienten als auch auf die Impfpriorisierung, betonte der Lungenfacharzt. So könnte bei der Neuaufnahme Coronakranker ein Screening durchgeführt werden, um herauszufinden, ob die Person jenen Autoantikörper in sich trägt und somit ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf einhergeht; hier könne man entsprechend frühzeitig reagieren. Schwer erkrankten Patienten mit Autoantikörpern könnte man zusätzlich zu einer Steroidtherapie gegebenenfalls Interferone oder neutralisierende Antikörper gegen SARS 2 verabreichen. Außerdem sollten Menschen, die den Antikörper in sich tragen, bei der Impfung zur Risikogruppe gezählt und daher auch beim dritten Stich priorisiert werden. (APA)

Experten: Auffrischungsimpfung für alle nicht notwendig

Die Corona-Impfstoffe sind einer Studie zufolge gegen die derzeit verbreiteten Virusvarianten so wirksam, dass die breite Bevölkerung derzeit keine dritte Impfung benötigt. "Selbst angesichts der Delta-Bedrohung sind Auffrischungsimpfungen für die Allgemeinbevölkerung in diesem Stadium der Pandemie nicht angebracht", heißt es in einem am Montag, 13.9., veröffentlichten Bericht im Fachmagazin "The Lancet" (https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)02046-8/fulltext).

Länder wie Israel haben aus Angst vor der ansteckenderen Delta-Variante begonnen, jedem Bürger eine Auffrischungsimpfung anzubieten, während die Versorgung ärmerer Länder mit Impfstoffen immer noch stockt und Millionen Menschen noch nicht ihre erste Impfung erhalten haben.

Die Wissenschafter, darunter Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), überprüften Beobachtungsstudien und klinische Studien, und kamen zu dem Ergebnis, dass die Impfstoffe bei allen wichtigen Virusvarianten nach wie vor hochwirksam gegen schwere Symptome von Covid-19 sind. Die aktuellen Varianten hätten sich nicht ausreichend weiterentwickelt, um der Immunantwort der derzeit verwendeten Impfstoffe zu entgehen.

"Insgesamt liefern die derzeit verfügbaren Studien keine glaubwürdigen Beweise für einen wesentlich geringeren Schutz vor schweren Erkrankungen, was das Hauptziel der Impfung ist", sagte die Autorin Ana-Maria Henao-Restrepo von der WHO.

Deshalb solle der Fokus auf der weltweiten Verteilung des Impfstoffes liegen und nicht auf einer dritten Impfung. "Wenn die Impfstoffe dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen bringen, könnten sie das Ende der Pandemie beschleunigen, indem sie die weitere Entwicklung von Varianten verhindern", so Henao-Restrepo weiter.

Die Autoren argumentieren zudem, dass es im Falle des Auftauchens neuer, resistenter Virusvarianten besser wäre, auf diese angepasste Auffrischungsimpfungen zu verabreichen, anstatt auf eine Drittimpfung mit existierenden Vakzinen zu setzen. Verschiedene Länder bieten derzeit älteren und besonders gefährdeten Menschen eine Booster-Impfung an. Israel bietet inzwischen allen ab zwölf Jahren eine dritte Impfung an. (APA/AFP)

UK: Booster gemeinsam mit Grippeimpfung ist sicher

In Großbritannien können über 50-Jährige sowie Heimbewohner, Gesundheitspersonal und Sozialarbeiter eine Auffrischungsimpfung gegen Corona erhalten. Wie die Regierung am Dienstag (14.9.) mitteilte, gilt die Regelung auch für klinisch extrem gefährdete Menschen sowie für Risikopatienten zwischen 16 und 65 Jahren. Insgesamt kommen damit mehr als 30 Millionen Menschen für eine dritte Impfung infrage.

Ihnen soll frühestens sechs Monate nach der zweiten Dosis das Mittel von Biontech/Pfizer gespritzt werden, das Studien zufolge gut als Auffrischung wirken und sehr verträglich sein soll. Alternativ seien auch die Impfstoffe von AstraZeneca und Moderna möglich.

Die Auffrischungsimpfung kann auch gemeinsam mit der normalen Grippeimpfung verabreicht werden. Dazu Dr. June Raine, Direktorin der britischen MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency): „Die überprüften Daten zeigten, dass die gleichzeitige Verabreichung der Auffrischungsimpfung mit Grippeimpfstoffen sicher ist und die Immunantwort einer Person keinen der Impfstoffe beeinflusst. Daher können Covid-19-Auffrischungsdosen gleichzeitig mit Grippeimpfstoffen verabreicht werden.“ (https://www.gov.uk/government/news/mhr-statement.on.covid-19-booster-vaccines)

Bereits im Jänner dieses Jahres hatte der Wiener Immunologe Univ.-Prof. Dr. Hermann Wolf in einem Interview mit medonline darauf hingewiesen, dass zwischen Totimpfstoffen generell kein Abstand eingehalten werden müsse. Für die Covid- und Grippeimpfung empfahl er allerdings einen Abstand "aus formalen Gründen", um Nebenwirkungen richtig zuordnen zu können (https://medonline.at/10068328/2021/corona-impfung-impfen-von-abwehrgeschwachten-schutzt-die-gesamte-gesellschaft/).

Ob auch gesunde Menschen unter 50 eine sogenannte Booster-Impfung erhalten werden, soll entschieden werden, wenn mehr Daten vorliegen. Eine aktuelle Studie zur Sicherheit und Immunantwort bei gleichzeitiger Verabreichung der Covid-19-Auffrischungsimpfung und der Grippeimpfung (ComFluCOV Vaccine Study) wird derzeit am Bristols Trial Center durchgeführt; es ist dies eine Kooperation zwischen der Universität Bristol, den Universitätskliniken Bristol, dem Weston NHS (National Health Service) Foundation Trust und der Universität Oxford. (APA/dpa/red)

WHO fordert mehr Gerechtigkeit bei Impfstoff-Verteilung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zum wiederholten Mal mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Impfstoffe im Kampf gegen die Corona-Pandemie angemahnt und dabei vor allem auf Versorgungslücken in Afrika hingewiesen. "Weltweit wurden mehr als 5,7 Milliarden Dosen verabreicht, aber nur 2 Prozent davon in Afrika", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Dienstag, 14.9. Das schade nicht nur den Menschen in Afrika, sondern allen.

Tedros sagte weiter: "Je länger die Ungleichheit bei den Impfstoffen anhält, desto mehr wird das Virus weiter zirkulieren und sich verändern, desto länger werden die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen andauern und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Varianten auftauchen, die die Wirksamkeit der Impfstoffe beeinträchtigen."

Die schlimmste Pandemie der letzten hundert Jahre werde erst dann beendet sein, wenn es eine echte globale Zusammenarbeit bei der Versorgung mit und dem Zugang zu Impfstoffen gebe, hieß es weiter. Impfziel der WHO sei weiterhin, dass bis Mitte 2022 70 Prozent der Bevölkerung aller Länder geimpft sein sollten. (APA/dpa)

Patientenanwälte für Impfpflicht bei Gesundheit und Lehrern

Die Patientenanwälte von Wien und Niederösterreich, Sigrid Pilz und Gerald Bachinger, fordern in einem Aufruf an die Regierung eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe, pädagogisches Personal, Personal in Pflegeheimen und körpernahe Dienstleister. Außerdem brauche es flächendeckend in möglichst vielen Bereichen und mit möglichst wenigen Ausnahmen eine 2G-Regel. Bringe all das nichts, plädieren sie für eine befristete, allgemeine Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung.

Österreich stehe am Beginn einer vierten Covid-19-Welle, argumentieren sie. "Es ist unstrittig, dass eine Durchimpfungsrate jenseits der 80 Prozent den gemeinschaftlichen Schutz weitgehend gewährleisten könnte. Dadurch könnten weitere Beschränkungen vermieden und die damit verbundenen sozialen, psychischen und wirtschaftlichen Verwerfungen hintangehalten werden." Außerdem fordern Bachinger und Pilz eine großangelegte "und vor allem professionelle" Aufklärung und Informationskampagne in jenen Zielgruppen, die bisher zu wenig erreicht wurden. Vor allem Peers und bekannte Persönlichkeiten aus dem Bereich des Sports und der Kultur sollten dabei zum Einsatz kommen. (APA)