2. Nov. 2020Alt mit Pein muss nicht sein

Suffiziente Schmerztherapie geht auch bei Senioren

Absolute Schmerzfreiheit lässt sich bei alten Patienten kaum erzielen, wohl aber eine starke Reduktion ihrer Beschwerden. Welches Analgetikum dafür infrage kommt, hängt vom individuellen Zustand ab.

Nahaufnahme von alten Frauenhänden.
istock.com/EllenaZ

„Was würden Sie gerne tun, was Sie aufgrund ihrer Schmerzen nicht mehr können?“ Mit dieser Frage lässt sich sehr einfach der Therapiebedarf klären. Ebenfalls wichtig: Bringen Sie in Erfahrung, auf welches erträgliche Ausmaß sich die Beschwerden reduzieren müssten, damit seine Wünsche für den Patienten umsetzbar erscheinen, schreiben die beiden Geriater Dr. Christina Y. Chen und Dr. Brandon Verdoorn von der Mayo Clinic in Rochester.

Massagen und physikalische Therapie

Therapeutisch sollte man als Erstes bei den Erkrankungen oder Triggern ansetzen, die möglicherweise dem Schmerz zugrunde liegen. Dies bedeutet zum Beispiel bei Rheumakranken, krankheitsmodifizierende Medikamente anzusetzen beziehungsweise die Behandlung zu intensivieren. Außerdem lohnt sich ein Versuch mit physikalischer Therapie, transkutaner elektrischer Nervenstimulation (TENS) oder Massagen. Es gibt kaum einen Patienten, der davon nicht profitieren würde, versichern die Autoren.

Falls dies nicht genügt, bieten sich Analgetika mit niedrigem Risiko wie Paracetamol an. Bis zu einer Tagesdosis von 2 g können Sie es auch bei Patienten mit Leberzirrhose sicher einsetzen, so die Schmerzexperten. Topische NSAR wirken gegen Arthroseschmerzen ebenso gut wie Tabletten, erzeugen aber weniger Nebenwirkungen.

Stärker wirksame Medikamente erfordern eine individuelle Risiko-Nutzen-Analyse. Systemische NSAR steigern beispielsweise das Risiko für gastrointestinale Blutungen, Nierenversagen und kardiovaskuläre Ereignisse. Antidepressiva, Antikonvulsiva und GABA*-Analoga erhöhen die Sturzgefahr, und Cannabinoide können die Kognition beeinträchtigen.

Eine Opioidverordnung ohne genaue Schmerzdiagnose ist mit einer erhöhten Mortalität und einem generell stärkeren Medikamentenkonsum verbunden. Umgekehrt weiß man inzwischen allerdings, dass niedrig dosierte Opioide z.B. bei Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen sicher eingesetzt werden können.

Auch die erhöhte Sturzgefahr unter Opioiden ließ sich bisher wissenschaftlich nicht belegen. In einer Metaanalyse zeigte sich kein Unterschied zwischen Patienten mit und solchen ohne diese Analgetika. Außerdem spricht die aktuelle Studienlage dafür, dass unzureichend behandelte Schmerzen viel eher ein Delir auslösen als Opioide. Allerdings steigern die Substanzen wahrscheinlich das Frakturrisiko, schreiben die Autoren.

Benzos können auf Dauer Demenz fördern

Das Auftreten einer Demenz wird durch die dauerhafte Einnahme von Benzodiazepinen gefördert, nicht aber durch Analgetika, betonen die Schmerzspezialisten. Gleichzeitig ist es für Demente viel schwieriger, Schmerzen konkret zu äußern. Die bei Betroffenen häufig auftretenden Unruhezustände lassen sich mit einer empirischen Schmerztherapie mit oder ohne Opioid reduzieren, ohne die körperliche oder geistige Situation der Patienten zu beeinträchtigen.

Welches Analgetikum Sie wählen, hängt von dem individuellen Zustand ab: Häufig stürzende Senioren erhalten besser kein Gabapentin oder Duloxetin. Bei Patienten mit Osteoporose oder Frakturanamnese ist Vorsicht mit Opioiden geboten. Ansonsten sehen die Autoren jedoch keinen Grund, bei Älteren auf eine angemessene Schmerztherapie zu verzichten. Dennoch sollten Sie Alter und Gebrechlichkeit im Hinterkopf behalten. Für die Dosiseinstellung empfehlen sie ein „start low, go slow“-Vorgehen.

* Gamma-Amino-Buttersäure

Quelle: Chen CY, Verdoorn B. Mayo Clin Proc 2020; 95: 445–448; doi: 10.1016/j.mayocp.2019.10.033

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune