O Freunde, nicht diese Töne!

„O Freunde, nicht diese Töne!“ So beginnt der von Beethoven in seiner letzten Symphonie verwendete Text des vor 260 Jahren geborenen Arztes Friedrich Schiller. Als ich vor 26 Jahren meine Turnusausbildung begann, wurden wir von dem sehr angesehenen habilitierten chirurgischen Abteilungsleiter unter anderem mit der Erklärung begrüßt: „Bei mir erfährt der Patient nicht, was er hat.“ Und so beinhalteten dann auch seine Visitengespräche praktisch immer den Satz: „Ja, wir haben alles entfernt …!“

Sprache schafft Wirklichkeit

Wenn Sie das jetzt lesen, denken Sie hoffentlich: „Das gibt es doch nicht! Heute ist das aber ganz anders!“ Ja, heute ist es anders, es hat ein erfreulicher Wandel in Richtung wahrhaftige Kommunikation mit Patienten und Patientinnen stattgefunden. Auch wenn es in der kommunikativen Kompetenz im Bereich „Wie sage ich es?“ erwiesenermaßen noch viel zu tun gibt, wird die absurde Frage „Sollen wir PatientInnen die Wahrheit sagen?“ meist nicht mehr gestellt.

Es ist bekannt: Sprache schafft Wirklichkeit! Achtsamkeit in der Kommunikation beinhaltet zum Beispiel auch, von „starken Analgetika“ zu sprechen und als PatientIn nicht immer wieder hören zu müssen: „Hat sie ihr Suchtgift schon bekommen?“ Menschen bekommen starke Analgetika, weil sie starke Schmerzen haben – und nicht weil sie „süchtig“ sind oder werden. Und sie nehmen auch kein „Gift“ – sondern Schmerzmittel!

Gute Kommunikation als Menschenrecht

Seien wir achtsam im Umgang und in der Sprache. Gute Kommunikation und wirksame Schmerzbehandlung sind Menschenrechte. Apropos Menschenrechte: Plötzlich sollen Menschen wieder einfach auf Verdacht in „Sicherheitshaft“ genommen und „konzentriert gehalten“ werden können. Aus Kriegsgebieten geflüchtete Menschen, die notwendigerweise Hilfe suchen, finden keine „Erstaufnahmezentren“ mehr vor, sondern „Ausreisezentren“. Ganz offiziell wird Sprache also missbraucht, werden Begriffe verwendet, welche uns Schritt für Schritt wieder hin zur längst überwunden geglaubten Vergangenheit hinführen. Also, bitte: „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere!“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune