Kinder aufziehen verlängert das Leben – nur, warum?

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Eine Studie zweier Ökonomen zeigt interessante Zusammenhänge, die derzeit medizinisch nicht restlos erklärt werden können (dieser Artikel erscheint im ärztemagazin 3/2019).

Ein prominent publiziertes Paper kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen, die Kinder haben, länger leben als solche ohne Kinder [1]. Die Ergebnisse sind jedenfalls von einer gewissen statistischen Robustheit, einerseits weil die beobachtete Kohorte mit mehr als 200.000 Personen sehr groß ist, andererseits weil diese Kohorte (die 1% der Bevölkerung von England und Wales repräsentiert) über 50 Jahre lang beobachtet wurde.

Wie es dazu kam

Einer der beiden Autoren, Univ.-Prof. Dr. Paul Schweinzer, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, erzählt, wie die Idee für diese Studie entstanden ist: „Unsere beiden Kinder sind in Köln auf die Welt gekommen, und danach war ich über längere Zeiträume fast ununterbrochen krank.“ So entstand die Idee, zu evaluieren, welchen Einfluss das Kinderkriegen im Vergleich zu anderen Faktoren auf die Mortalität hat.

Wer Kinder kriegt, lebt länger

Das Ergebnis war durchaus überraschend: Kinder zu haben bedeutete für Frauen eine Reduktion der Sterbewahrscheinlichkeit durch Infektionen um 47%, aber auch andere Mortalitätsfaktoren reduzierten sich, am stärksten das Krebsrisiko (um 72%), gefolgt vom Risiko für Herzerkrankungen (um 66%) und dem Risiko eines gewaltsamen Todes (Unfall/Mord/Selbstmord, minus 62%). Für Männer mit Kindern reduziert sich das Mortalitätsrisiko durch Infektionen um 35%, durch Krebs um 67%, durch Herzerkrankungen um 61% und durch Unfall/Mord/Selbstmord um 56% – alle diese Unterschiede sind statistisch signifikant.

Sind diese Resultate per se schon interessant, so verblüffen auch noch andere Ergebnisse der Studie, etwa die Tatsache, dass verheiratete Männer ein um fast 71% erhöhtes Krebssterberisiko im Vergleich zu unverheirateten Männern aufweisen.

„Das hat uns natürlich auch überrascht“, kommentierte Schweinzer, „ebenso wie die Tatsache, dass Reichtum oder Wohlhabend-Sein zwar auch das Mortalitätsrisiko reduzierten, das war ja auch bekannt, aber deutlich weniger stark als das Kinderkriegen.“

Auch die Zahl der Kinder scheint für diesen Effekt laut der vorliegenden Studie keine wesentliche Rolle zu spielen.

Erklärungshypothesen – mehr Fragen als Antworten

„Klar ist, dass eine Beobachtungsstudie wie unsere keine Kausalitäten zeigen kann, sondern lediglich Assoziationen“, betonte der Ökonom. Zudem sei ein Bias nicht auszuschließen, nämlich der „Selbst-Selektion“. Das würde bedeuten, dass Menschen, die z.B. krank sind oder wenig Mittel haben, vielleicht eher beschließen, keine Kinder zu bekommen.

Bezüglich der Reduktion von Infektionstodesfällen setzen die Autoren auf die von ihnen aufgestellte „elterliche Koimmunisierungshypothese“. Diese beruht auf der Vorstellung, dass die Auseinandersetzung des kindlichen Immunsystems mit einer großen Zahl von pathogenen Erregern auch eine Boosterung der elterlichen Immunität erzeugt.

Sehr viel schwieriger zu erklären ist allerdings die Reduktion der Mortalität durch Herzerkrankungen oder Krebs bei Eltern. Hier kann man Verhaltensänderungen vermuten. „Aber da es sich hier um die Summe aller Krebsarten handelt, muss wohl auch die Genetik im Spiel sein“, folgerte Schweinzer.

Tatsächlich gibt es durchaus medizinische Literatur, die besagt, dass mehr Nachkommenschaft die Lebensspanne der Eltern (oder zumindest der Mütter) eher verkürzt als verlängert [2]. Allerdings scheint die aktuelle Datenlage der genetischen Altersforschung eigentlich vor allem eines zu sagen: dass alle bisherigen Hypothesen zu kurz greifen und längst noch nicht klar ist, ob es einfache Zusammenhänge zwischen Fitness, also Langlebigkeit, und Reproduktivität wirklich gibt oder nicht [3].

Es gibt jedoch inzwischen andere Studien, etwa aus Schweden [4], die den Zusammenhang zwischen Kinderkriegen und Langlebigkeit bestätigen.

Interessant ist auch, dass die immunologische Variabilität auf zellulärer Ebene bei Menschen, die im gemeinsamen Haushalt leben, um 50% geringer ist als in der allgemeinen Bevölkerung [5].

Literatur
  1. Portela M und Schweinzer P: The parental co-immunization hypothesis: An observational competing risks analysis. Sci Rep 2019; 9(1): 2493. doi:10.1038/s41598-019-39124-2
  2. Westendorp RG und Kirkwood TB: Human longevity at the cost of reproductive success. Nature 1998; 396(6713): 743­–746. doi:10.1038/25519
  3. Flatt T und Promislow DEL: Still Pondering an Age-Old Question. Science 2007; 318(5854): 1255–1256. doi:10.1126/science.1147491
  4. Modig K et al.: Payback time? Influence of having children on mortality in old age. J Epidemiol Community Health 2017; 71(5): 424–430. doi:10.1136/jech-2016-207857
  5. Carr EJ et al.: The cellular composition of the human immune system is shaped by age and cohabitation, Nat Immunol 2016;17(4):461-468. doi:10.1038/ni.3371