4. Feb. 2019Österreichischer Impftag 2019

Impfschutz für vulnerable Patientengruppen

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HPV-Infektionen, Meningokokken und Hepatitis, HIV-positive Patienten, Homosexuelle und Opfer sexueller Gewalt sind besonders vulnerable Gruppen, die einer speziellen Impfprophylaxe bedürfen.

Wo immer Menschen sexuell aktiv sind, werden Humane Papillomaviren (HPV) übertragen, sie sind mit einer Transmissionsrate von 25 bis 30 Prozent pro Geschlechtsakt das am häufigsten übertragene Pathogen. Kondome schützen kaum bis wenig, weil HPV im gesamten Anogenitaltrakt vorhanden sind.
„Man weiß aus guten prospektiven Studien, dass 60 bis 80 Prozent der Mädchen HPV in den ersten vier bis fünf Jahren nach ihrem sexuellen Debüt akquirieren“, betont Dr. Maria Kitchen, Fachärztin für Spezifische Prophylaxe, Tropenmedizin und Infektiologie an der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in Innsbruck.
„Die HPV-Impfung wurde ursprünglich für Mädchen zugelassen, und in vielen Ländern ist der Fokus immer noch auf den weiblichen Impflingen. Das ist bedenklich, weil damit der Eindruck vermittelt und verstärkt wird, dass HPV-basierte Erkrankungen nur Frauen betreffen und diese Gruppe diskriminiert, während ihre Bedeutung für Erkrankungen bei Männern negiert wird.“ Das betrifft v.a. Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten, die Gruppe der MSM (Männer, die Sex mit Männern haben).

Bei HPV-Infektionen nicht auf die Männer vergessen
MSM haben eine sehr hohe Prävalenz für HPV und sind besonders gefährdet für Analkarzinome, die eigentlich das Äquivalent zu den Zervixkarzinomen darstellen. Bei homosexuellen Männern ist die Inzidenz für Analkarzinome 44 Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung, wobei 80 bis 90 Prozent der Analkarzinome auf Hochrisiko-HPV-Typen zurückzuführen sind. MSM haben auch ein höheres Risiko für oropharyngeale Karzinome, wobei hier HPV-16 große Bedeutung zukommt und den Tabakkonsum als wichtigste Ursache ersetzt hat.
Epidemiologisch betrachtet hat sich die Inzidenz von älteren Rauchern auf jüngere Männer verschoben. Während das Zervixkarzinom im Bewusstsein vieler Menschen gut verankert ist, steigen die Zahlen von Anal- und Oropharyngealkarzinomen bei Männern kontinuierlich (und von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert) an.
Unter den MSM ist die Gruppe der HIV-positiven Männer besonders gefährdet. Eine Metaanalyse von 53 Studien1 zeigt sehr genau, dass HIV-positive MSM zu über 90 Prozent im Analbereich HPV-infiziert sind, aber nur etwas mehr als 60 Prozent der HIV-negativen MSM. Auch die Inzidenz von Analkarzinomen ist mit
45/100.000 HIV-positiven MSM versus 5/100.000 HIV-negativen MSM signifikant erhöht. „Bei den HIV-positiven Patienten in unseren Ambulanzen in Salzburg und Innsbruck wurden bei 88 Prozent HPV im Analabstrich nachgewiesen, davon waren 73 Prozent HPV-Hochrisikotypen.
Sehr viele Patienten haben viele verschiedene HPV-Infektionen, wobei beachtenswert ist, dass in 70 Prozent der Fälle HPV-Typen vorkommen, die durch den HPV-Neunfachimpfstoff präventabel wären“, resümiert die Expertin. „25 Prozent der untersuchten Männer waren HPV-16-infiziert, das ist der am häufigsten nachgewiesene Virus. Dementsprechend gibt es eine sehr starke Impfempfehlung für homosexuelle Männer. Ich bin stolz darauf, dass wir in Österreich die HPV-Impfung seit Jahren für Mädchen und Jungen gleichwertig anbieten. Bei MSM empfehlen wir diese Impfung auch im höheren Alter; hier gibt es Berechnungen aus Großbritannien, die ganz klar zeigen, dass die HPV-Impfung in dieser Population auch bis zum 45. Lebensjahr kosteneffizient ist. Besonders wichtig ist diese Impfung auch für HIV-positive Personen.“

Meningokokken-Infektionen bei homosexuellen Männern
Meningokokken sind eine seltene Erkrankung, haben aber besondere Bedeutung für MSM. Homosexuelle Männer sind häufiger nasopharyngeal mit Meningokokken besiedelt als heterosexuelle Männer, und es sind auch rektale und urethrale Kolonisationen bekannt.
In Nordamerika gab es seit der Jahrtausendwende mehrere Ausbrüche von invasiven Meningokokken-Erkrankungen (v.a. die Meningitis C) in den homosexuellen Communities, daher wurde in den USA eine Impfempfehlung für alle MSM ausgesprochen. Die Übertragung erfolgt im Allgemeinen durch engen Kontakt oder das Verwenden gemeinsamer Utensilien.
In Europa gab es vor dem ersten Meningokokken-Ausbruch in Städten wie Paris oder Berlin im Jahr 2013 wenig Bewusstsein für diese Erkrankung. Eine retrospektive Analyse in Deutschland ergab, dass zwischen 2012 und 2014 bei Männern von 18 bis 59 Jahren 148 invasive Meningokokken-Erkrankungen aufgetreten waren, mit einer 13-fach erhöhten Inzidenz in der MSM-Gruppe, was zu einer generellen Impfempfehlung für diese Population in Deutschland führte. Interessanterweise war Amsterdam nicht von der Meningokokken-Endemie betroffen; als Grund nahm man an, dass in den Niederlanden junge Männer bei Meningokokken eine Durchimpfungsrate von über 95 Prozent erreichen.
In Österreich gab es kein Si­gnal für vermehrte Meningokokken-Erkrankungen, aber seit 2013 überwiegen die Infektionen bei Männern. „Es gibt daher keine generelle Impfempfehlung gegen Meningokokken, aber wir glauben, dass es für homosexuelle Männer, die viel unterwegs sind und die auch internationale Sexualkontakte pflegen, sinnvoll ist“, sagt Kitchen. Diesbezüglich ist die Meningitis-ACWY-Impfung und eine jeweilige Auffrischung nach fünf Jahren empfohlen, solange ein Expositionsrisiko besteht. Gegen Meningitis B wurde keine Empfehlung ausgesprochen, weil diese nur sehr selten aufgetreten ist. „Es wäre aber zu erwägen, weil sie möglicherweise eine gewisse Kreuzprotektion zu den Gonokokken vermitteln könnte, wie Daten aus Neuseeland² zeigen, wo Anfang der 2000-er Jahre eine große Meningitis-B-Epidemie stattfand.“

Erhöhtes Tetanusrisiko bei Drogenkonsumenten
Im Jahr 2017 gab es europaweit einen Ausbruch mit über 20.000 Hepatitis-A-Fällen, wobei hauptsächlich MSM betroffen waren. Diese Infektionswelle konnte auf drei Cluster zurückverfolgt werden und wäre mit einer höheren Durchimpfungsrate zu verhindern gewesen. Auch Österreich war 2017 mit 232 Fällen von Hepatitis A, v.a. bei jüngeren Männern, betroffen. Hier gilt eine Impf­empfehlung samt regelmäßiger Auffrischung für alle MSM, wobei auch postexpositionell mit sehr guten Erfolgen geimpft werden kann. Ebenso zählen MSM bei anderen viralen Hepatitiden zur Risikogruppe, weshalb auch hier regelmäßig geimpft und aufgefrischt werden sollte.
In den USA gab es ebenfalls einen Hepatitis-A-Ausbruch, der aber im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit stand. „Das ist nichts Neues“, betont Kitchen. „Menschen, die Drogen gebrauchen, sind durch prekäre sanitäre Bedingungen und direkt durch den Nadelgebrauch gefährdet. Daher ist es ganz wichtig, die Betroffenen gegen Hepatitis A und B zu impfen, das gilt auch für Adoleszente.“ Menschen mit Drogenkonsum haben auch ein erhöhtes Risiko für Tetanus-Erkrankungen, vor allem solche, die sich Heroin spritzen, weil ein Zusatzstoff, der zur Verdünnung des Heroins eingesetzt wird, das Wachstum von Clostridien begünstigen dürfte. Zusätzlich ist der Verlauf mit häufigeren und schwereren pulmonalen Komplikationen verbunden. In Europa werden in etwa 100 Tetanus-Fälle pro Jahr gemeldet, wobei nicht bekannt ist, wie viele davon auf Drogengebrauch zurückgehen.

HPV-Übertragung bei Opfern sexueller Gewalt
Bei Opfern sexueller Gewalt kommt es häufig zur Übertragung von Erregern. Zu HPV-Infektionen gibt es sehr gute Daten aus einer großen US-Studie3 mit knapp 600 Teilnehmern, in der Kinder bis 13 Jahre mit Verdacht auf sexuellen Missbrauch untersucht wurden. Bei gesicherten Missbrauchsfällen lag die HPV-Infektionsrate bei 15 Prozent bzw. bei den Mädchen über zehn Jahren bei 20 Prozent, und 14 Kinder hatten auch Condylomata entwickelt. Österreichische Daten von Mädchen bis zum 15. Lebensjahr, die wegen gynäkologischer Pro­bleme Ambulanzen oder Fachärzten zugewiesen wurden, zeigen bei 13,6 Prozent dieser Gruppe Infektionen mit Hochrisiko-HPV-Typen.
„In Innsbruck werden die Patientinnen nach Vergewaltigung auch an unsere Ambulanz überwiesen, entsprechend der Guidelines empirisch behandelt und an Ort und Stelle geimpft, und zwar gegen Hepatitis B, wenn der Impfstatus unklar ist, und mit der Neunfach-HPV-Impfung. Diese ist postexpositionell grundsätzlich bis zu einem Alter von 27 Jahren empfohlen, aber wir impfen gelegentlich auch darüber hinaus. Der Großteil der Frauen, die wir nach Vergewaltigung betreuen, ist jung – 76 Prozent sind unter 30 Jahren – und diese Gruppe sollte ohnedies geimpft werden.“

1) Machalek D et al., The Lancet Oncology 2012, Volume 13, Issue 5, Pages 487–500
2) Petousis-Harris H et al., Lancet 2017; 390: 1603–1610
3) Unger ER et al., Pediatrics 2011 Sep; 128(3): e658–65. doi: 10.1542/peds.2010-2247

Österreichischer Impftag; Wien, Jänner 2019

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune