Erfolg durch Kooperation: Innsbrucker Expertisezentrum für Genodermatosen

Im November 2018 wurde in Innsbruck das Expertisezentrum für Genodermatosen mit Schwerpunkt Verhornungsstörungen gegründet. Primäres Ziel sind eine exakte und schnelle Diagnosefindung bei Menschen mit seltenen Hauterkrankungen und die Einleitung einer geeigneten Behandlung. Daneben soll durch verstärkte internationale Zusammenarbeit und Teilnahme an Multicenterstudien die Entwicklung neuer Therapeutika für Ichthyosen vorangetrieben werden. Der Zentrumskoordinator Priv.-Doz. Dr. Robert Gruber sprach mit CliniCum derma über seinen Klinikalltag und neue Herausforderungen. (CliniCum derma 2/20)

CliniCum derma: Wie kam es zur Entscheidung, sich auf Ichthyosen und Verhornungsstörungen zu fokussieren?

Robert Gruber: Die Hautklinik in Innsbruck hat seit Jahrzehnten einen Schwerpunkt für Genodermatosen, das wurde von Prof. Peter Fritsch sehr gefördert. Er hat mich damals als jungen Assistenten gebeten, alle Patienten mit Genodermatosen, die an der Hautklinik gesehen werden, systematisch zu erfassen. Das war die Geburtsstunde unseres Patientenregisters und seit damals liegt mein Interessensgebiet bei den Verhornungsstörungen. Unter Prof. Matthias Schmuth, der sich mit der Hautbarriere und Ichthyosen beschäftigt und viel dazu publiziert hat, wurde die Thematik weiter vorangetrieben. Letztendlich war das gemeinsame Interesse einiger Involvierter die Initiale für die Bewerbung zum Expertisezentrum.

Wie hat sich Ihre Arbeit durch das Zentrum verändert?

Wir haben seitdem ein deutlich höheres Patientenaufkommen und auch Anfragen zu Ichthyose-Studien. Unsere Patienten werden ambulant im Rahmen unserer Genodermatosen-Sprechstunde betreut, die wir seit 2011 anbieten. Während wir im ersten Jahr zwölf neu diagnostizierte Patienten hatten, waren es 2016 schon 40 und seitdem wir Expertisezentrum sind, ist die Zahl auf mehr als 60 Neudiagnosen pro Jahr gestiegen, weshalb wir auch die Frequenz der Sprechstunden erhöhen mussten. Rund die Hälfte unserer Patienten sind Kinder und der größte Anteil der Anfragen kommt aus Österreich, aber auch die internationalen nehmen zu.

Wir haben in unserer Sprechstunde zumindest 40 Minuten pro Patient eingeplant. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es hilfreich ist, wenn man die empfohlenen Therapien sehr detailliert erklärt und mit einer medizinischen Begründung ergänzt, dadurch wird der Patient mit seiner eigenen Erkrankung vertrauter und seine Compliance erhöht. Als Zentrumskoordinator muss ich dafür Sorge tragen, dass wir nur Patienten mit Krankheiten aufnehmen, die in unserem Expertisebereich liegen, denn auch unsere Ressourcen sind begrenzt.

Wenn ein niedergelassener Arzt oder eine Klinik einen entsprechenden Verdachtsfall hat, was wäre die beste Vorgangsweise, um mit Ihnen in Kontakt zu treten?

Im Vorfeld ersuchen wir um eine Kontaktaufnahme per Telefon oder E-Mail mit mir oder unserem Chefsekretariat, das für Terminvereinbarungen zuständig ist. Alle weiteren Schritte müssen sehr individuell festgelegt werden, abhängig davon, ob der Patient zu uns ans Zentrum kommen kann und wie dringlich sein Fall ist. Kann der Patient nicht ans Zentrum kommen, klären wir die Details für den Versand von Blutproben für genetische Analysen und zu den Einverständniserklärungen. Mit Zustimmung des Patienten sind für uns auch weitere Informationen zur bisherigen Krankengeschichte hilfreich, damit wir uns ein besseres Bild machen und auch im Team beraten können, welche Untersuchungen sinnvoll sind. Nach ca. sechs bis acht Wochen liegt meist das Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung vor, das an den behandelnden Arzt übermittelt wird und mit dem Patienten ausführlich besprochen werden muss.

Wir empfehlen in solchen Fällen dringend eine genetische Beratung, diese muss aber nicht in Innsbruck, sondern kann auch an jedem anderen genetischen Institut in Österreich durchgeführt werden. Nach erfolgter Diagnose ist es wichtig, dass der Hauptanteil der Versorgung möglichst wohnortnah stattfindet. Deshalb sehen wir manche Patienten nur noch zu halbjährlichen Kontrollen und andere mehrere Jahre nicht, wenn alles gut funktioniert. Aktuell haben wir in unserer Datenbank über 400 Patienten mit Verhornungsstörungen erfasst, die mit unserem Zentrum in Verbindung stehen.

Generell kann es bei seltenen Erkrankungen sehr lange dauern, bis man zu einer Diagnose gelangt. Gibt es hier bei den Ichthyosen einen Vorteil, weil man doch in vielen Fällen ein Kollodium-Baby als Hinweis hat?

Leider ist es nicht so einfach, es gibt rund 40 verschiedene Ichthyosen und ein Kollodium-Baby tritt nicht bei allen auf, meist aber bei den schweren Formen. Die Diagnosedauer ist sehr individuell. Wenn das Ergebnis der genetischen Untersuchung mit der Klinik übereinstimmt, hat man die definitive Diagnose gefunden, allerdings dauert die Molekulargenetik mehrere Wochen. In Innsbruck haben wir ein spezielles Derma-Panel etabliert, das alle bekannten Gene für Ichthyosen inkludiert, sodass wir hier relativ schnell suchen können. Allerdings haben wir auch ungelöste Fälle, die oft erst nach Jahren diagnostiziert werden können, z.B. dann, wenn eine neue seltene Erkrankung im Rahmen von wissenschaftlichen Kooperationen erstmals beschrieben wird. Es ist wichtig, solche Casi pro diagnosi in Evidenz zu halten und daher führen wir regelmäßige Besprechungen zu ungelösten Patientenfällen durch. Grundsätzlich haben wir hier alle diagnostischen Einrichtungen wie Histologie, Elektronenmikroskopie oder Radiologie vor Ort, um zu einer schnellen und kosteneffektiven Diagnose zu gelangen, aber trotzdem gelingt dies nicht in jedem Fall.

Derzeit gibt es für Ichthyosen nur symptomatische Therapien?

Ja, es gibt leider keine kausale Therapie, die zu einer Heilung dieser Erkrankungen führt. Wir haben zahlreiche Lokaltherapien zur Verfügung, die bei den milderen Formen sehr gut wirken, aber für die schweren entzündlichen und syndromalen Ichthyosen stoßen wir trotz oraler Retinoide aktuell immer wieder an die therapeutischen Grenzen. Hier wäre es wichtig, Biologika, die teilweise schon für andere Hautbarrierestörungen erfolgreich im Einsatz sind, im Rahmen von Studien zu evaluieren oder neue spezifisch wirksame Medikamente zu entwickeln. Es ist diesbezüglich einiges in der Pipeline und ich hoffe, dass es in den nächsten Jahren neue therapeutische Möglichkeiten geben wird. Bis dahin behandeln wir einige Patienten im Rahmen individueller Heilversuche – oft mit sehr gutem Erfolg, z.B. Menschen mit Netherton-Syndrom mit einem monoklonalen Antikörper, der bisher nur bei der atopischen Dermatitis eingesetzt wird. Allerdings ist das eine derzeit nicht zugelassene und auch für kleinere Kinder nicht anwendbare Therapie, für die wir für jeden Patienten individuell die Wirkung belegen und bei der Versicherung um Kostenübernahme ansuchen müssen.

Sind Gentherapie und Hauttransplantationen bei Ichthyosen ebenso eine Option wie bei Epidermolysis bullosa (EB)?

Insgesamt gibt es bei den Ichthyosen mehr Subtypen und höhere Patientenzahlen als bei der EB, und die Behandlung geht eher in Richtung Biologika-Therapien. Es gibt wenige Verhornungsstörungen, bei denen auch Gentherapien versucht werden, z.B. bei der ektodermalen Dysplasie in utero. Für die Ichthyosen ist der Ansatzpunkt, genetisch korrigierte Haut rückzutransplantieren, zu komplex, weil die gesamte Haut ausgetauscht werden müsste und die Komplikationsrate sicher hoch wäre. Aus meiner Sicht ist es erfolgversprechender, auf monoklonale Antikörper oder Small Molecules zu setzen.

Für die Ichthyosen brauchen wir – mit Ausnahme der Ichthyosis vulgaris, bei der eine Lokaltherapie häufig ausreicht – neben den bewährten oralen Retinoiden neue systemische Therapien. Bei der Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass nicht nur Gentherapien, sondern auch moderne Orphan Drugs sehr teuer sind und die Kostenübernahme ein großes Problem darstellt, für das in einzelnen Ländern unterschiedliche Lösungsansätze erarbeitet werden.

Wie erleben Ichthyose-Patienten ihren Alltag?

Personen mit seltenen Hauterkrankungen haben mit Sicherheit schon alle Stigmatisierung und Diskriminierung erfahren. Vor allem in der Pubertät ist das ein großes Thema, im Kindesalter sind vielleicht die Eltern stärker belastet. Gemeinsam mit Organisationen wie Pro Rare Austria oder dem Forum für Seltene Erkrankungen bieten wir regelmäßig Informationsveranstaltungen für die Bevölkerung und die niedergelassenen Ärzte an und hoffen, dadurch mehr Toleranz und Hilfe in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz zu erreichen. Ich ermutige die Patienten zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, weil dort wertvolle Tipps vermittelt werden können. Umgekehrt können wir Ärzte von den Selbsthilfegruppen und den Patientenerfahrungen viel lernen. Derzeit haben wir in Österreich leider noch keine Selbsthilfegruppe für Ichthyosen, daher empfehle ich meinen Patienten, sich an die Deutsche Selbsthilfegruppe zu   wenden, die sehr gut organisiert ist und regelmäßige Treffen veranstaltet. Eine Teilnahme ist dort länderübergreifend möglich.

Wie hat sich Ihr Arbeitsumfeld durch die Corona-Krise verändert?

Die Abläufe sind durch die verschärften Sicherheitsmaßnahmen mühsamer geworden. In den letzten Wochen hatte ich persönlich sehr viel Extra-Arbeit, weil viele Patiententermine verschoben oder abgesagt werden mussten. Daher mussten unzählige Anfragen teledermatologisch oder schriftlich beantwortet werden, was mehr Zeit erfordert. Seit Mai haben wir wieder etwas mehr Patiententermine in unserer Genodermatosen-Sprechstunde und ich hoffe, dass sich damit die Situation weiter entspannt. In der schwierigen Zeit des Lockdowns im März fühlten sich viele Patienten mit ihrer seltenen Erkrankung allein gelassen oder missverstanden, ihre Ärzte waren zum Teil nicht erreichbar oder überbucht. Wir haben österreichweit mitgeholfen, eine ausreichende Betreuung sicherzustellen und auch entsprechende Rezepte verschickt, damit die Betroffenen ihre Therapeutika zeitgerecht erhalten. Sehr schwere Ichthyosefälle wurden trotzdem an unserem Zentrum behandelt, wie z.B. zwei Patienten mit Netherton-Syndrom, die dafür eine Ausnahmegenehmigung für die Anreise über das Große Deutsche Eck erhielten.

Was würden Sie anderen Kliniken empfehlen, die für sich erwägen ein Expertisezentrum zu gründen?

Zuerst ist es wichtig, sich nicht von den bürokratischen Hürden abhalten zu lassen, wir haben in Innsbruck mehr als ein Jahr an der Bewerbung gearbeitet. Zweitens muss man gut abwägen, welche Vorteile ein solches Expertisezentrum mit sich bringt und ob auch bei einem erhöhten Patientenaufkommen ausreichend Ressourcen vorhanden sind. Wir konnten das für uns hier zum Glück lösen, aber für kleine Kliniken kann das schnell zu einer Flaschenhalssituation führen. Als Drittes möchte ich betonen, dass es für Expertisezentren zumindest derzeit keine finanzielle Unterstützung gibt. Und es ist wichtig, die Kooperation mit anderen Kliniken aufrechtzuerhalten, wir arbeiten eng mit dem EB-Haus in Salzburg, den Universitätskliniken in München und Münster und auch mit San Francisco, Yale und Tokio zusammen. Man braucht Netzwerke, andere Experten und die Bereitschaft zu Kooperation, um komplexe Fälle zu lösen und neue Therapien voranzutreiben.

Weiterführende Informationen

Kontaktaufnahme mit dem Expertise-Zentrum für Genodermatosen mit Schwerpunkt Verhornungsstörungen in Innsbruck:
Viktoria Migschitz, Tel.: 0043 512 504 24801, E-Mail: viktoria.migschitz@tirol-kliniken.at
Priv.-Doz. Dr. Robert W. Gruber, E-Mail: robert.gruber@tirol-kliniken.at
Homepage: https://dermatologie.tirol-kliniken.at/page.cfm?vpath=expertisezentren/zentrum-fuer-genodermatosenverhornungsstoerungen

Kontakt der Selbsthilfegruppe für Ichthyose: http://www.ichthyose.de/

Veranstaltungshinweis: Die diesjährige Jahrestagung der ESPD (European Society for Pediatric Dermatology) musste aufgrund der Corona-Krise verschoben werden. Der neue Veranstaltungstermin ist vom 12.–14. Mai 2021 in der Wiener Hofburg.

Zur Person

Priv.-Doz. Dr. Robert Gruber hat in Innsbruck und Graz Medizin studiert und mit einer Dissertation zum Thema „Ichthyosis vulgaris“ abgeschlossen. Seine Ausbildung zum Facharzt für Dermatologie und Venerologie an der Universitätsklinik in Innsbruck hat er 2012 absolviert. Nach einem Forschungsaufenthalt an der UCSF in San Francisco, arbeitete er zwei Jahre als Assistenzarzt an der Humangenetik, ehe er 2015 zum Thema „Genetik und Hautbarriere bei Verhornungsstörungen“ habilitierte.
Seit 2016 ist er leitender Oberarzt an der Univ.-Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie in Innsbruck. Daneben ist er stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Dermatologie der ÖGDV. Seit 2018 leitet er als Koordinator das Expertisezentrum für Genodermatosen mit Schwerpunkt Verhornungsstörungen. „Auch wenn ich vieles für die seltenen Hauterkrankungen neben meiner Arbeit als Hautarzt in der Patientenversorgung im stationären und ambulanten Bereich machen muss, habe ich große Freude mit dieser Aufgabe. Es ist ein ständiges Weiterlernen in einem sehr spannenden Themenbereich“, sagt Gruber.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum derma